Die Ultra-Weitwinkel – Einsatzbereiche und Kaufempfehlungen

Objektivschule Teil 6: Ultra-Weitwinkel mit einer Brennweite von bis zu 20 mm sind vielleicht die am schwierigsten zu beherrschenden Objektive. Wir erklären, wo die Tücken der extremen Weitwinkelobjektive lauern und wo ihre Stärken liegen. Zudem geben wir Kaufempfehlungen.

Porträt Lars Theiß

Lars Theiß

Praxis-Redakteur, seit 1995 im fotoMAGAZIN-Team.

Die Ultra-Weitwinkel – Einsatzbereiche und Kaufempfehlungen
Foto: © focalmatter / iStock / Getty Images Plus

Als Super- oder Ultra-Weitwinkelobjektive betrachten wir in dieser Serie die Objektive, die eine Brennweite bis zu 20 Millimeter besitzen, sei es als feste Brennweite oder als Anfangsbrennweite eines Zooms. Die Brennweitenangaben beziehen sich immer auf die kleinbildäquivalente Brennweite: Bei Micro Four Thirds geht es um Objektive bis 10 mm, bei APS-C bis rund 12 mm (Canon) oder 13 mm.

Der diagonale Bildwinkel beträgt also 94 Grad oder mehr. Dabei möchten wir nur vollauszeichnende Konstruktionen behandeln, die eine herkömmliche Abbildung zeigen – Fischaugen-Objektive bleiben hier außen vor.

Landschaftsaufnahmen sind in der Weitwinkelfotografie beliebt

Die Landschaftsfotografie zählt zu den typischen Anwendungsgebieten der Super-Weitwinkel. Ein exakt ausgerichteter Horizont ist Pflicht, leichtes Abblenden erhöht normalerweise die Auflösung und reduziert die Randabdunklung.
Objektiv: Tamron SP 2,8/15-30 mm Di VC USD | Aufnahmedaten: 15 mm, Blende f/4, 1/13 s, ISO 400, Stativ | Kamera: Nikon D850

Foto: © Lars Theiß

Unsere Objektivschule:

Fotografie mit Ultra-Weitwinkel

Den Optik-Ingenieuren gelang es im Laufe der Zeit, Grenzen zu verschieben und Super-Weitwinkelobjektive (Super-­WW) mit immer geringerer Brennweite zu konstruieren. Die stärksten Serien-­Weitwinkel ohne Fisheye-Effekt für Vollformat kommen von Samyang und Voigtländer mit einem diagonalen Bildwinkel von 130 Grad. Unter den Zooms dürfte das Canon EF 4/11-24 mm L USM (126 Grad) den größten Bildwinkel aufweisen.

Superweitwinkelaufnahmen können Sie auch stacken, also aus mehreren Einzel­aufnahmen (weniger weitwinkligerer Objektive) nachträglich zusammenmontieren. Diese Technik schafft eine höherauflösende Bilddatei mit – bei Bedarf – größerem Bildwinkel und weniger optischen Fehlern, stößt aber an ihre Grenze, wenn im Motiv relativ schnell bewegte Objekte wie Menschen oder Tiere sind.

Ein Einsatzbereich der Ultra-Weitwinkelobjektive ist die Architekturfotografie

Architektur von innen und außen ist eine klassische Anwendung. Das Hochformat ist in der späteren Verwendung nicht immer praktisch, aber oft das angemessene Seitenverhältnis.
Objektiv: Tamron SP 2,8/15-30 mm Di VC USD | Aufnahmedaten: 15 mm, f/6,3, 1/1250 s, -2 EV, ISO 250 | Kamera: Nikon D850

Foto: © Lars Theiß

Ultra-Weitwinkel: Motive und Bildwirkung

Im Grunde genommen reicht Ihnen ein Super-Weitwinkel für alle Zwecke aus, denn Ihr wichtiger Motivgegenstand wird immer auf dem Bild sein; nur eben manchmal ziemlich klein. Imposante Landschaften sind ebenso eine Domäne der Ultra-Weitwinkel wie Stadt-, Architektur- und Industrieaufnahmen.

Große „Dinge“ passen aufs Bild, auch wenn Sie nahe davor stehen können oder müssen: Innenaufnahmen von Gebäuden oder Personengruppen gelangen unbeschnitten auf den Sensor. Deshalb profitieren auch Reportagen von großen Bildwinkeln, die einen Gesamteindruck von einer Szenerie schaffen können. Ein weiteres Anwendungsgebiet sind Fotos vom sternenübersäten Nachthimmel.

Der große Bildwinkel wird meistens – dem eigenen Seheindruck entsprechend – im Querformat eingesetzt, (Stadt-)Landschaften und ähnliches werden auf diese Weise gut eingefangen. Dennoch sollten Sie auch das Hochformat nicht vergessen. Je nach Motiv kann es nicht nur besser passen, sondern auch für einen überraschenden Bildeindruck sorgen.

Weitwinkelobjektive in der Reportage- oder Event-Fotografie

Mit großer Blendenöffnung werden nah­fokussierte Objekte freigestellt. Solche Aufnahmen beleben beispielsweise Reportagen und Event-Fotografien.
Objektiv: Nikon AF-S Nikkor 1,8/20 mm G ED | Aufnahmedaten: 20 mm, f/2,2, 1/125 s, -1 EV, ISO 1000 | Kamera: Nikon D750

Foto: © Getty Images / iStockphoto / Max Riesgo

Stärken und Schwächen von Ultra-Weitwinkelobjektiven

So schön der große Bildwinkel ist: Es gelangt dann auch viel auf den Sensor. Ehe man sich versieht, baumelt von oben ein Ast ins Bild, mogelt sich in der Bildecke ein Passant in den Bildausschnitt oder ragt ein unfotogenes Gestrüpp in den Vordergrund. Ein sorgsamer Bildaufbau ist deshalb hilfreich, um nur das gewünschte Motiv auf den Sensor zu bannen. Und er spart Zeit, die beim Retuschieren später fällig würde.

Deshalb empfiehlt es sich aus kompositorischen Gründen, ein Stativ zu verwenden und die Aufnahmen auf dem Display sorgfältig zu kontrollieren, um gleich mit einem anderen Standpunkt reagieren zu können, wenn die Bildelemente nicht zusammenpassen.

Ein Stativ hilft Ihnen weiterhin dabei, den Horizont exakt waagerecht auszurichten und auch die Aufnahmeachse horizontal zu setzen. Auf diese Weise sind die Verzeichnungseffekte am geringsten und es treten keine stürzenden Linien auf.

Letztere können für eine dynamischere Bildwirkung gezielt – durch Kippen der Kamera nach oben oder unten – eingesetzt werden und besonders Bauwerke betonen. Durch die geringen Nahgrenzen kann sehr leicht ein Bildelement im Vordergrund dominant wirken und bei weit geöffneter Blende vor dem Hintergrund freigestellt werden. Portraits auf kurze Dis­tanz sollten Sie lieber vermeiden, da dann die Nase unvorteilhaft groß abgebildet wird.

Konstruktionsbedingt wird schon durch leichtes Abblenden eine sehr große Schärfentiefe erzielt, die sich besonders für eher dokumentarische Bilder gut eignet. Je größer der Bildwinkel, desto stärker macht sich die natürliche Vignettierung bemerkbar, die sich selbst durch optische Bautricks nicht vermeiden lässt.

Die künstliche Vignettierung entsteht durch einen Beschnitt des Strahlengangs und verstärkt den Lichtabfall zu den Bildrändern und -ecken hin. Diese Randabdunklung lässt sich durch Abblenden meistens verringern und auch digital bereits in der Kamera oder in der Bildbearbeitung verringern. 

Die korrekte Belichtung kann schwierig sein, wenn bei Außenaufnahmen ein großer Anteil hellen Himmels im Bild ist, der mit einem dunklen Vordergrund in Einklang gebracht werden muss. Den großen Helligkeitsunterschied bekommen Sie beispielsweise mit Belichtungsreihen (HDR) oder einem Grauverlaufsfilter in den Griff. In Innenräumen reicht der Leuchtwinkel der Blitzgeräte nicht mehr aus, was zu dunklen Bildecken führt.

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs bis 20 mm: Canon, Fuji, Laowa, Nikon, Olympus, Leica

Objektivfehler – Die Verzeichnung

Ein wichtiges Leistungsmerkmal von Objektiven ist die Verzeichnung, die wir im BAS-Digital-Test messen und die vom Betrachter leicht festgestellt werden kann. Sie äußert sich darin, dass ein Rechteck nicht maßstabsgetreu abgebildet wird, sondern entweder in Richtung Kissen- oder in Richtung Tonnenform „verzogen“ wird. Gerade Linien und Kanten werden auf dem Foto zum Bildrand hin immer stärker nach innen oder außen gebogen.

Ursache dafür sind vereinfacht gesagt die Lage der Blende und optische Konstruktionen, die das Strahlenbündel mit Öffnungsfehler einengen, sodass die Strahlen nicht in einem Punkt zusammenlaufen bzw. die Richtung geändert wird. Überlagern sich verschiedene Fehler, kann es zu einer wellenförmigen Abbildung gerader Linien kommen. Abblenden beeinflusst die Verzeichnung nicht.

Mittlerweile können viele Hersteller individuelle Daten zur jeweiligen Verzeichnung im Objektiv hinterlegen und an die Kamera übertragen, um eine automatische digitale Korrektur vorzunehmen. Das geschieht entweder bereits in der Kamera (je nach Modell und Objektiv zu-/abschaltbar) oder in der Bildbearbeitungs-Software – zu Lasten der Bildqualität.

Beim Einsatz von Weitwinkelobjektiven muss auf stürzende Linien geachtet werden

Wird die Kamera perfekt ausgerichtet, gibt es keine stürzenden Linien. Je nach Objektivgüte muss jedoch eine Verzeichnung korrigiert werden.
Objektiv: Canon EF-S 3,5-4/10-22 mm USM | Aufnahmedaten: 10 mm ( entspr. 16 mm KB), Blende f/4, 1/20 s, ISO 800, Stativ | Kamera: Canon EOS 40D

Foto: © Getty Images / iStockphoto / Rusm

Welche Features können Ultra-Weitwinkel besitzen?

Super-Weitwinkelobjektive sind in der Regel bescheiden ausgestattet. Vor allem die zahlreichen Modelle der Fremdhersteller verfügen oft noch nicht einmal über Autofokus – was sich aber verschmerzen lässt, denn die gängigen Motive bieten genügend Zeit zum manuellen Scharfstellen.

Hilfreich ist es dann, Entfernungs- und Schärfentiefeskalen vorzufinden – und einen Blendenring. Einige wenige Exemplare besitzen einen optischen Bildstabilisator, der Aufnahmen aus der freien Hand besonders in der Dämmerung retten kann. Bei Außenaufnahmen freut sich der Fotograf über einen Spritzwasserschutz. Vereinzelt finden sich Funktionstasten oder außergewöhnlich geringe Nahgrenzen, beim Irix 11 mm Firefly kann der Fokussierring arretiert werden und es gibt eine Klickrastung bei Unendlich.

Filtergewinde sind wegen der oft großen oder stark vorgewölbten Frontlinse nicht immer vorhanden. Außerdem besteht bei Einschraubfiltern die Gefahr der Randabschattung. Ersatzweise haben einige Modelle ein Filterfolienschubfach an der Hinterlinse. Für populäre Objektive bieten einige Filterhersteller angepasste Halterungen für Steckfilter an.

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs bis 20 mm: Samyang, Sigma, Sony, Tamron, Voigtländer, Zeiss

Das außergewöhnliche Objektiv

Eine sehr eigenwillige Möglichkeit, Superweitwinkelaufnahmen zu machen, bietet Lomography mit dem Objektivaufsatz Naiad 3,8/15 mm Art für die Objektivbasis des Neptune Convertible Art Lens System. Diese Objektivbasis gibt es für Canon EF, Nikon F und Pentax K. Über weitere Adapter ist die Basis auch an vielen anderen Kameras anschließbar.

Objektivaufsatz Naiad 3,8/15 mm Art von Lomography

Die schüsselartige Streulichtblende des Neptune Naiad 15 mm dient gleichzeitig als Halterung für 100-mm-Steckfilter.

Foto: © Lomography

Zurück zum Objektivaufsatz Naiad: Er ist das weitwinkligste Objektiv im Quartett mit Thalassa, Despina und Proteus (Bericht in fM 7/18). Das Naiad erfordert viel Handarbeit beim Anbringen, Blende einstellen und Fokussieren. Es gibt weder eine Entfernungsskala noch eine Datenübertragung. Seine Aufnahmen muss sich der Fotograf also richtig erarbeiten.

Immerhin wartet Naiad mit einem Arbeitsabstand von nur einem Zentimeter auf und kann in der Streulichtblende Rechteckfilter aufnehmen. Das Lomography Naiad kostet rund 350 Euro, die Lens Base etwa 200 Euro, im Kit zuletzt zusammen mit Filter ca. 500 Euro.

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