Martin Parr

Mit seinem oft ironisch-bösen Blick auf das Konsumverhalten der westlichen Zivilisationsgesellschaft wurde Martin Parr zum Star. Heute hat er darüber hinaus einen exzellenten Ruf als Fotobuch-Sammler und Kurator. Mitte 2015 hatten wir Gelegenheit, mit dem Fotografen beim Kassler Fotobookfestival zu sprechen.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Porträt Martin Parr

Porträt des Künstlers Martin Parr, entstanden 2017.

Foto: © Manfred Zollner

Der erste Blick fällt auf sein Schuhwerk. Martin Parr zeigt heute seine blassen Füße wieder einmal in dunkelbraunen Ledersandalen. Ein wenig erinnert deren Design an einen Maulkorb für Kampfhunde. Später, auf der Vortragsbühne der Documenta-Halle, wird der Brite sagen, seine Fotos von Männern in Sandalen seien immer Selbstportraits. Na bitte. Jetzt ist er aber erst einmal morgenmuffelig. In dieser Laune hat er gerade sein erstes Interview hinter sich gebracht.

fotoMAGAZIN: Herr Parr, besitzen Sie eigentlich einen Account bei Instagram?
Martin Parr: Mit den „Social Media“ beschäftige ich mich nicht. Ich möchte nicht, dass mir noch mehr Menschen folgen. Das ist jetzt schon schlimm genug.

fotoMAGAZIN: Warum?
Parr: Die Leute überschütten mich mit Erwartungen und das reicht mir jetzt schon. Magnum (Martin Parrs Bildagentur) ist jedoch bei Instagram.

fotoMAGAZIN: Ich hätte hinter Ihrer Zurückhaltung rechtliche Bedenken vermutet.
Parr: Das ist ein weiterer Grund, warum ich es vermeide, Bilder in die „Sozialen Medien“ zu laden.

Der Star des Kassler Fotobookfestivals 2015 demonstriert jetzt also zunächst einmal größtmögliche Gleichgültigkeit. Mal sehen, ob sich das bei seinen „Kernthemen“ ändert.

fotoMAGAZIN: Sie gehen an Ihre fotografische Arbeit sehr analytisch heran ...
Parr: Mein großes Interesse gilt im Augenblick dem Umbruch bei Magnum. Ich bin jetzt Magnum-Präsident. Da widme ich mich besonders der Neustrukturierung der Agentur, damit wir in den Markt der Zukunft passen. Magnum soll in der Fotoszene mehr Bedeutung gewinnen. Wir arbeiten forciert an unserem Business to Consumer-Bereich. (Anmerkung der Redaktion: Martin Parr hat sein Amt als Magnum-Chef 2017 niedergelegt.)

fotoMAGAZIN: Und wie kommen Sie voran?
Parr: In manchen Dingen hängen wir zurück, in anderen sind wir voraus. Wir hatten beispielsweise früh eine gute Website. Und wir verstanden schnell, dass der Magazin-Markt ein absteigender Zweig ist und der Kultursektor aufsteigend. Magnum war die erste Agentur, die vor zwanzig Jahren eine Kulturabteilung hatte. Heute ist diese enorm wichtig für uns und fast schon die profitabelste Abteilung. Nach unserem Verständnis ist Magnum eine Mischung aus Kunst und Journalismus, aus Vergangenheit und Zukunft.

fotoMAGAZIN: Wo liegt denn nun Ihr momentaner Fokus als Büchersammler?
Parr: Bei den Fotobüchern aus dem Iran und bei Protest-Büchern. Auch der italienische Faschismus interessiert mich sehr als Thema. Es bleibt aber heute wirklich nicht mehr viel Unentdecktes.

fotoMAGAZIN: Sie sagen selbst, Sie seien als Sammler geradezu obsessiv.
Parr: Selbstverständlich! Ich besitze 12.000 Bücher.

„Hinter der Sammelsucht verbirgt sich das Verlangen, die Welt zu organisieren.“

Martin Parr

fotoMAGAZIN: Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages ausschließlich zum Thema Fotobuch zu forschen?
Parr: Teil meiner Zielsetzung war es, das Fotobuch neu zu positionieren. Bis zu einem gewissen Punkt passiert das jetzt auf all diesen (Fotobuch-)Festivals. Der Markt für Fotobücher hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr gut entwickelt. Und dazu habe ich beigetragen.

martin_parr_1996_west_bay-dorset-england_think_of_england

Schnappschuss aus dem Kunstfoyer München, entstanden bei „Souvenir. A Photographic Journey“ von Martin Parr.

© Manfred Zollner

fotoMAGAZIN: Über die Jahre haben Sie auch zu kuratieren begonnen. War das eine logische Entwicklung aus Ihrer Sammlertätigkeit?
Parr: Wahrscheinlich. Irgendwann möchte man eine Plattform für die Dinge, die man entdeckt hat. Und die beste Art, diese anderen Leuten vorzustellen, ist das Kuratieren.

fotoMAGAZIN: Was haben Sie denn beim Sammeln über sich gelernt?
Parr: Hinter der Sammelsucht verbirgt sich das Verlangen, die Welt zu organisieren, zu kategorisieren und zu sortieren. Das Gleiche passiert bei der Fotografie.

fotoMAGAZIN: Fotografieren ist also auch nur eine Form des Sammelns?
Parr: Das ist die ganze Idee. Du musst das Chaos da draußen organisieren und ein klares Statement dazu abgeben, wie Du zu dieser Welt stehst.

fotoMAGAZIN: Haben Sie entschieden, wer Ihre Sammlung einmal bekommen soll?
Parr: Sie soll zu einer öffentlichen Institution in Großbritannien kommen. (Anmerkung der Redaktion: Inzwischen ist bekannt, dass Parrs Sammlung zum Londoner Tate Modern kommen wird.)

fotoMAGAZIN: Lassen Sie uns ein wenig über Ihr fotografisches Schaffen sprechen. Sie fotografierten immer wieder mal die Deutschen. Welches Bild haben Sie dabei von uns bekommen?
Parr: Ich mag Deutschland. Die Klischees über das Land sind oft wahr.

fotoMAGAZIN: Sie haben scheinbar mehr Fans in Frankreich und Deutschland als in England. Wie erklären Sie sich das?
Parr: Briten mögen die Fotografie nicht so wie ihr oder die Franzosen. Das hat kulturhistorische Gründe. Die Leute bei uns denken, die Fotografie sei noch ein Handwerk.

Die Münchner Retrospektive: „Souvenirs. A Photographic Journey"

 

 

fotoMAGAZIN: Ist der momentane Trend zur Abstraktion in der Fotografie Ihrer Meinung nach bereits eine Reaktion auf die zunehmenden juristischen Probleme bei der Street Photography?
Parr: Zum Teil, aber schauen Sie sich doch einmal die Bücher hier in Kassel an: Die Hälfte davon zeigt Aufnahmen der Freunde und der Familie der Fotografen. Das ist doch eine sehr faule Art von Fotografie!

fotoMAGAZIN: In einer britischen Tageszeitung gaben Sie im vergangenen Jahr den Lesern die Anregung, bei Beerdigungen zu fotografieren. Wie kamen Sie denn gerade darauf?
Parr: Weil es Teil unserer sozialen Etikette ist, dort nicht zu fotografieren. Es geht also darum, die Rolle der Fotografie neu zu definieren.

„Man macht mich in Interviews einfach zu oft fertig.“

Martin Parr

fotoMAGAZIN: Haben Sie mit diesem Tipp einen Sturm der Entrüstung ausgelöst?
Parr: Daran erinnere ich mich nicht. Es gab dabei wohl einige Kontroversen.

Eine Besucherin der Martin Parr-Ausstellung „Souvenir. A Photographic Journey“ im Kunstfoyer München.

© Manfred Zollner

fotoMAGAZIN: Ist es also doch noch möglich, heute zu provozieren?
Parr: Ich mache das ja nicht absichtlich. Ich sage einfach nur was ich denke. Allerdings kann ich kaum glauben, dass ich noch immer kontrovers sein soll. Ich fotografiere doch nur ganz Alltägliches. Was ist so kontrovers daran, wenn ich den Besuch im Supermarkt ablichte?

fotoMAGAZIN: Was halten Sie eigentlich von einem Fotografen wie Peter Lik?
Parr: Die Geschichte seines Prints, der als teuerstes Foto aller Zeiten verkauft wurde, war schon bizarr. Da muss es wohl in Las Vegas einen Mangel an guten Geschmack geben. Wenn er wirklich so viel Geld mit seinen Bildern verdient, kann man nur den Hut ziehen. Das könnte aber auch alles nur Hype sein. Es wäre glaubwürdiger, wenn die Bilder bei Sotheby´s in New York verkauft würden.

fotoMAGAZIN: Was ist denn ein gutes Bild?
Parr: Das kann ich Ihnen nicht erzählen.

fotoMAGAZIN: In unserem Gespräch wandern Sie heute stets auf einem schmalen Grat zwischen Ironie und Wahrheit.
Parr: Natürlich, genau wie bei meinen Bildern. Ich bin froh, dass sich meine Persönlichkeit so spiegelt. Jetzt sind Sie wie mein Therapeut.

fotoMAGAZIN: Sie vermitteln hier in Kassel ein wenig den Eindruck, dass Sie Interviews nicht besonders mögen.
Parr: Ich bin vielleicht nicht mehr so darauf aus wie noch vor 20 Jahren. Man macht mich einfach zu oft fertig. Heute lehne ich die meisten Interviews ab. Dieses hier habe ich allerdings gerne gemacht.

Seit Ende 2017 existiert in Bristol die von ihm gegründete Martin Parr Foundation. Ziel der Organisation ist, den Nachlass von Parr selbst und weiteren bedeutenden Fotografen zu archivieren, zu verwalten und zu konservieren. Der Fokus liegt hierbei auf britischen, irischen und solchen Künstlern, die wichtige Werke auf den Britischen Inseln aufgenommen haben.

______________________

„Souvenir. A Photographic Journey“
Die Retrospektive und Ausstellung im Kunstfoyer München, Maximilianstraße 53, 80538 München. Bis 28. Januar 2018, täglich von 9-19 Uhr geöffnet.

Beitrage Teilen