Fotobuch-Talks: Interview mit Klaus Kehrer

Wir sprachen mit dem Fotobuch-Verleger Klaus Kehrer über die aktuellen Entwicklungen des Fotobuchmarktes.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Klaus Kehrer, Kehrer Verlag

Klaus Kehrer, Kehrer Verlag

Foto: Kehrer Verlag

fotoMAGAZIN: Was war das erste Fotobuchprojekt, das Sie in Ihrem Verlag veröffentlicht haben?

Klaus Kehrer: Das war im Jahr 1995 der Fotoband Celebrities“, anlässlich einer Ausstellung im Museum Ludwig, mit Portraits bekannter Musiker, Schauspieler etc, fotografiert von ebenso bekannten Fotografen wie Richard Avedon und Annie Leibovitz, allesamt Werke aus der Sammlung Gruber.

Bassman und Himmel

Jessica Barkhaus‘ „Jesus and the Cherries“ vom Kehrer Verlag

Foto: Kehrer Verlag

fotoMAGAZIN: Was hat Sie damals bewogen, sich in diesem Segment des Buchmarktes zu engagieren?

Kehrer: Die Fotografie lag mir immer schon am Herzen, so dass mir die Ausweitung der Fotografie im Programm eine wahre Freude gewesen ist. Ferner war schon abzusehen, dass mit der digitalen Fotografie Wachstumschancen im Fotobuchbereich verbunden sind. Und schließlich lassen sich Fotobücher bei tendenziell geringem Textanteil relativ gut international vertreiben, wenn man über den entsprechenden Vertriebsapparat verfügt. 

fotoMAGAZIN: Welche Druckauflage streben Sie bei Fotobuchprojekten an?

Kehrer: Die Erstauflagen hängen natürlich stark von der Marktfähigkeit der Künstler und der jeweiligen Werkgruppe ab. Unserer Struktur entsprechend liegen die Auflagen bei wenigstens 1000 Exemplaren. Den Regelfall sehe ich zur Zeit eher bei 2000 Exemplaren. Sie können sich aber durchaus mal auf 5.000 Exemplare belaufen, wenn sich solche Auflagen international vertreiben lassen. Ich denke dabei an Publikationen wie One Day – Ten Photographers“, Bassman & Himmel“, Saul Leiter oder den Wilden Mann von Charles Freger. Und natürlich die aktuelle Publikation Augen auf! - 100 Jahre Leica Fotografie“. Im Gegensatz zu konzernabhängigen Verlagen können wir Projekte nach ihren Inhalten wählen und sind in unserer Entscheidung frei. Ich muss also nicht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit gute Projekte ablehnen, weil sie keine größeren Auflagen erreichen können. 

Ich muss nicht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit gute Projekte ablehnen, weil sie keine größeren Auflagen erreichen.„

Klaus Kehrer, Verleger

fotoMAGAZIN: Haben Sie genauere Erkenntnisse über die Zielgruppe für Ihre Fotobildbände?

Kehrer: Ja und nein. Wir betreiben keine aufwendige Marktforschung und kennen dennoch viele unserer Käufer sogar persönlich. Daher würde ich anstatt von Erkenntnissen eher von Erfahrungen sprechen. Demnach besteht der Großteil der Käufer unserer Publikationen aus Personen mittleren Alters mit eher gehobenem Einkommen. Wir sind jedoch immer wieder überrascht über die jungen, häufig noch studierenden Interessenten, die sich den Kaufpreis für ein Buch, das sie lieben und besitzen möchten, förmlich vom Munde absparen. Wir können das beim direkten Verkauf auf Festivals oder auf Messen immer wieder beobachten und sind nicht selten wirklich berührt über den Enthusiasmus für das gedruckte Objekt der Begierde. Ich würde also sagen, die Zielgruppe ist relativ breit angelegt, gemeinsam haben sie das ernsthafte Interesse an der Fotografie.

fotoMAGAZIN: Wie hat sich der Fotobuchmarkt seit Ihren Anfängen in der Branche verändert?

Kehrer: Die Zahl der Neuerscheinungen war damals noch deutlich überschaubarer. Durch die – allen Unkenrufen zum Trotz –  wachsende Zahl der Publikationen hat die Konkurrenz für jedes noch so gut gemachte Fotobuch deutlich zugenommen. Auch die Strukturen haben sich massiv verändert. Wir haben einen deutlich transparenteren internationalen Markt, insbesondere aufgrund des Internets und dessen intensiver Nutzung als Informationsmedium, aber auch aufgrund der vielen selbstverlegten Bücher und der damit einhergehend großen Anzahl an Kleinstverlegern, wenn man die selbstverlegenden Künstler so nennen will. Hinsichtlich der Ausstattung des Fotobuches hat sich selbstredend auch einiges verändert. Die Publikationen sind heute aufwendiger gestaltet und warten mit technischen Besonderheiten auf, die das einzelne Objekt aus der Masse der Bücher herausragen lassen.

Der Großteil der Käufer unserer Publikationen sind Personen mittleren Alters mit eher gehobenem Einkommen.“

Klaus Kehrer, Verleger

fotoMAGAZIN: Nach welchen Kriterien suchen Sie heute Fotobuchprojekte aus?

Kehrer: Zunächst achten wir darauf, dass das Projekt in unser Programmprofil passt. Im Idealfall entstehen Publikationen, die man genau bei uns suchen würde. Ich denke etwa daran, dass wir seit etlichen Jahren immer wieder künstlerische Arbeiten verlegt haben, die sich mit sozial relevanten Themen auseinandersetzen. Dabei kommen mir etwa die Alzheimer-Projekte von Peter Granser oder von Sybille Fendt in den Sinn, aber auch an das gerade entstehende Fotobuch des Briten Martin Usborne, das sich in traurig-schönen Bildern mit dem Verbleib „ausgedienter“ Jagdhunde in Spanien beschäftigt. Wenn möglich, sollten die Themen von Interesse nicht nur im deutschsprachigen Raum sein – und sich natürlich zumindest in kleinerer Auflage verkaufen lassen. Doch da sind wir nicht immer konsequent und von der Freude an der Fotografie und von der Vermittlerfunktion des Verlegers geleitet: Wenn uns ein Projekt gut gefällt, nehmen wir es durchaus an, auch wenn wir nicht wissen, ob sich auch nur eine kleine Auflage unter die Leute bringen lässt. Ein gutes Beispiel ist das Buch War Porn von Christoph Bangert. Alle Vertreter haben uns gesagt, man könne nicht ein einziges Exemplar des Buches verkaufen. Und doch haben wir zugesagt und sind das Wagnis eingegangen, weil wir der Meinung waren, die unverblümte Grausamkeit des Krieges müsse diskutiert werden – in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft, aber auch auf den Menschen, der als Kriegsfotograf täglich solche Bilder sehen und verarbeiten können muss.

fotoMAGAZIN: Warum sollten Fotografen ein Finanzierungsmodell für ihr Fotobuch anstreben, bei dem sie sich mit bis zu 20.000 Euro Produktionskostenbeteiligung einbringen?

Kehrer: Es ist nicht leicht zu verstehen für einen Fotografen, der schon viel Geld für Reisen und Material ausgegeben hat, dass er einen finanziellen Beitrag zum Buch leisten soll, weil die erwarteten Verkaufserlöse die Produktionskosten nicht decken können. Aber es kann durchaus Sinn machen; denn die Zusammenarbeit mit einem gut aufgestellten Verlag bringt nicht nur eine schönes Buch hervor. Buch und Künstler erzielen über Marketing und Vertrieb des Verlages eine mitunter beachtliche internationale Verbreitung und Aufwertung am Markt. Das Buch leistet dann einen wichtigen Beitrag zum Erfolg des Künstlers, etwa über daraufhin zustande kommende Kontakte zu Ausstellungsinstitutionen, über Streckenverkäufe an Magazine oder über Verkäufe von Prints allgemein. Galerien schätzen es, wenn parallel zur Ausstellung ein neues Buch erscheint. Ich erinnere mich etwa an die Entstehung des Gedankens zu einer Ausstellung von Christopher Anderson bei Robert Morat, praktisch gleichzeitig zur Vereinbarung des Buches Son mit Chris Anderson in Arles.

fotoMAGAZIN: Sind derzeit Ihrer Meinung nach zu viele Fotobücher auf dem Markt – und wenn ja: warum?

Kehrer: Wir haben, wie schon erwähnt, eine deutlich höhere Anzahl an Neuerscheinungen unter anderem vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl der Selbst- und Kleinverlage. Das bringt Herausforderungen mit sich. Ich denke jedoch nicht, dass es zu viele Fotobücher gibt; denn die Zahl der Interessenten scheint offenbar mit gewachsen zu sein. Und es mag folgerichtig sein, dass bei breiterem Interesse an der Fotografie auch mehr publiziert wird. 

Ich denke jedoch nicht, dass es zu viele Fotobücher gibt; denn die Zahl der Interessenten scheint offenbar mit gewachsen zu sein

fotoMAGAZIN: Was raten Sie guten Fotografen, die momentan einen Verlag für ihr erstes Fotobuch suchen?

Lillian Bassman und Paul Himmel vom Kehret-Verlag

Foto: Kehrer Verlag

Kehrer: Wenn ich ein guter Fotograf auf dem Weg zum ersten Buch wäre, würde ich mich zunächst umschauen um herauszufinden, bei welchem Verlag und in welchem Programm ich mich zu Hause fühlen kann. Parallel dazu würde ich mir die Strukturen des Vertriebs und die Arbeitsweise des Verlages anschauen. Ich würde ferner versuchen, die Position und Bedeutung des Verlages am Markt einzuschätzen. Schließlich das Team des Verlages ausloten, durchaus auch einen Besuchstermin vereinbaren um die Verantwortlichen, vielleicht auch die Bildbearbeiter und Grafiker etc. kennenzulernen. Denn wenn die „Vibes“ stimmen, kann jedes im Prozess entstehende Problem gemeinsam gelöst werden. So wird ein gutes Buch partnerschaftlich erarbeitet und geboren. 

fotoMAGAZIN: Was halten Sie von den derzeitigen Selfpublishing-Tendenzen unter Fotografen?

Kehrer: Ich habe da keine Berührungsprobleme. Da ist mittlerweile eine lebendige und durchaus impulsgebende Szene entstanden. Ich rate gelegentlich sogar Fotografen zum Selbstverlag, nämlich dann, wenn es sehr künstlerische Projekte sind, für die eine kleine und eher limitierte Auflage angemessen scheint und insbesondere dann, wenn solche Projekte aufgrund ihrer technischen Ausstattung sehr viel Handarbeit erfordern, die in größerer Auflage viel zu teurer werden würden. Ich sage diesen Fotografen aber auch immer dazu, dass sie im Falle des Selbstverlegens die Arbeit des Verlages übernehmen würden, also sich selbst um die Produktion, um Marketing und um Vertrieb kümmern müssen, was unter anderem heißt, die Rechnungen zu schreiben und Päckchen zu packen… Ich kenne einige Fotografen, die dies ein oder zweimal gemacht haben und dann festgestellt haben, dass sie sich besser wieder auf ihre eigentliche Arbeit um die Fotografie konzentrieren sollten. 

fotoMAGAZIN: Ist der derzeitige Fotobuchboom nur ein vorübergehendes Phänomen des Büchermarktes, sehen Sie womöglich gar ein baldiges Ende der momentanen Bücherflut?

Kehrer: Das Wachstum der letzten Jahre wird meines Erachtens irgendwann einmal seine Grenze finden und der Fotobuchmarkt mag dann durchaus stagnieren, jedoch immer noch auf relativ hohem Niveau. Das breite Interesse ist da und sollte fortbestehen. Allerdings schwindet die Kaufkraft der Mittelschicht als tragende Säule vieler Konsumbereiche, also auch bei den Büchern. Viele werden sich die hochwertig produzierten Fotografie-Bände einfach nicht mehr leisten können, auch wenn sie eher günstig eingepreist sind. Damit verändert sich die Orientierung für die Verlage. Das wird zu noch höheren Preisen bei kleineren Auflagen führen und zu noch mehr Exklusivität bei den ohnehin schon aufwendigen Publikationen.

fotoMAGAZIN: Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Markt der Fotobuch-Sammler in Deutschland?

Kehrer: Schwer zu sagen, weil wir eben nicht über eine detaillierte Marktforschung und entsprechende Analysen verfügen. Wenn ich schätzen muss, würde ich sagen, die Zahl der eingefleischten Fotobuchsammler in Deutschland beläuft sich auf eher 500 als 1000 Personen. Hinzu kommen noch ein paar wenige Institutionen, die – noch mit Budget ausgestattet – Fotobücher systematisch erwerben. 

Hintergrundinformationen zu diesem Fotobuch-Thema finden Sie in der Reportage "Der BücherBoom" von Manfred Zollner, die in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 06/2015 erschienen ist.

Mehr Interview-Bonusmaterial zum Thema Bildbände und Fotobuch auf unserer Übersichtsseite "Dialoge über die Zukunft des Bildbandes".

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