Warum ein 50 mm Objektiv? – Die Normalbrennweite

Objektivschule Teil 1: Für welche Motive eignet sich das Normalobjektiv und welche Stärken sowie Schwächen bringt es mit sich? Wir starten die Serie Objektivschule mit der Normal- oder Standardbrennweite. Zudem stellen wir die typischen Vertreter der Kategorie und deren Testergebnisse vor.

Porträt Lars Theiß

Lars Theiß

Praxis-Redakteur, seit 1995 im fotoMAGAZIN-Team.

Objektivschule Teil 1: Die Normalbrennweite
Foto: © Andrea Colarieti / Getty Images

Bei Fotoobjektiven wird die Bildbrennweite ermittelt, indem die Entfernung der Hauptebene eines Linsensystems bis zu ihrem bildseitigen Brennpunkt oder Fokus (auf der Sensoroberseite oder der Filmoberfläche) gemessen und in Millimetern (mm) angegeben wird. 

Wenn nun diese Millimeterzahl dem diagonalen Maß des Aufnahmemediums entspricht, reden wir von einem Normal- oder Standardobjektiv. Beim Vollformat sind es 43,3 mm. Der Bildwinkel des Objektivs beträgt in diesem Fall rund 53 Grad. In diesem Bereich liegt auch der Bildwinkel, den das menschliche Auge im unbewegten „Ruhezustand“ erfasst.

50 mm Objektive in der Fotografie Normalbrennweiten oder Standardzooms, die den Bereich um 50 mm abdecken, eignen sich für viele Zwecke, zum Beispiel Reportage- und Reisefotografie oder dokumentarische Fotografie. Objektiv: Canon EF 2,8/24-70 mm L II USM Aufnahmedaten: 47 mm, Blende f/4,5, 1/800 s, ISO 100 Kamera: Canon EOS 5DS R

Normalbrennweiten oder Standardzooms, die den Bereich um 50 mm abdecken, eignen sich für viele Zwecke, zum Beispiel Reportage- und Reisefotografie oder dokumentarische Fotografie.
Objektiv: Canon EF 2,8/24-70 mm L II USM
Aufnahmedaten: 47 mm, Blende f/4,5, 1/800 s, ISO 100
Kamera: Canon EOS 5DS R

Foto: © Lars Theiß

Da die fotografische Wirkung einer Brennweite von der Größe des Aufnahmeformats beeinflusst wird, sind beispielsweise 45 mm an einer Mittelformatkamera ein Weitwinkel und an einer MFT-Kamera ein Teleobjektiv. Wir wollen aber bei der kleinbildäquivalenten Brennweite bleiben.

Unsere Objektivschule:

Normalbrennweite: Motive und Bildwirkung

Da Objektive mit Brennweiten um 50 mm Normalobjektive sind, ist auch ihre Abbildungscharakteristik und Bildwirkung ziemlich normal und unspektakulär. Das muss aber nicht schlecht sein: Mit einem 50er kämpfen Sie weniger gegen perspektivische Verzeichnungen und übertrieben betonte Vordergründe als mit Weitwinkeln. Im Gegensatz zu (längeren) Telebrennweiten sind die Aufnahmen weniger flach und verdichtet und es ist leichter, eine größere Schärfentiefe zu erhalten.

Mit anderen Worten, Aufnahmen mit der Standardbrennweite wirken ziemlich realistisch und geben die Wirklichkeit so wieder, wie wir sie mit dem bloßen Auge sehen würden. Das macht sich gut bei Reportagen, bei journalistischen Fotos, auf Reisen oder ganz allgemein bei Themen, die weniger „künstlerisch“ oder als Interpretation dargestellt werden sollen. Streetphotography gehört dazu, auch wenn für den Schuss aus der Hüfte gerne ein leichtes Weitwinkel verwendet wird, das mehr vom Geschehen einfängt; Überflüssiges wird dann zugunsten des Hauptmotivs in der Bildbearbeitung abgeschnitten. 

50-mm-Objektive an APS-C-Kameras werden zu typischen Portraitobjektiven, doch auch an Vollformatkameras eignen sie sich für Menschenaufnahmen, insbesondere Ganzkörper- und Gruppenaufnahmen. Weil es für vergleichsweise wenig Geld sehr lichtstarke 50er gibt, sind sie auch eine einfache Wahl für allerlei Motive unter schlechten Lichtverhältnissen wie in Innenräumen oder draußen bei Nacht (Available Light). 

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 45-58 mm: Canon, Fujifilm, Leica, Nikon, Olympus, Panasonic

Stärken und Schwächen der Normalbrennweite

Langeweile entsteht beim Betrachter, wenn sich Motive oder Perspektiven oder eben eingesetzte Brennweiten ständig wiederholen; einzeln oder sogar kombiniert. Wenn Fotografen das auf die Spitze treiben und zum perfektionierten Stilelement machen, nennt sich das serielle Fotokunst und erhält einen eigenen Zauber, man denke nur an die Bilder der Fördertürme von Hilla und Bernd Becher

Wenn im normalen Hausgebrauch eines Fotoamateurs immer der gleiche Bildwinkel verwendet wird, dürfte der Betrachter vermutlich schnell ermüden. Am „gefährlichsten“ sind allerdings die extremen Brennweiten, also Fisheye-Objektive und Superweitwinkel auf der einen und Superteles auf der anderen Seite. Insofern sind Sie mit einer Normalbrennweite sehr gut bedient, wenn Sie beispielsweise das Experiment wagen, eine Reise mit nur einem einzigen Objektiv anzutreten oder über einen bestimmten Zeitraum nur ein Objektiv zu verwenden. 

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 45-58 mm: Samyang, Sigma, Sony, Tamron, Zeiss

Welche Features können Standard­objektive besitzen?

Standardobjektive mit fester Brennweite sind oft schlicht ausgestattet. Funktionen, die bei Teles oder Weitwinkeln Sinn machen, sind bei Normalbrennweiten kaum nötig. Da dieser Objektivtyp vergleichsweise einfach zu konstruieren ist, sind aus Herstellersicht bei lichtschwachen Varianten sehr niedrige Preise zu erzielen. Doch auch die lichtstärkeren Modelle mit f/1,4 oder f/1,8 sind meistens die günstigsten Objektive dieser Lichtstärkenkategorie in den Herstellersortimenten.

Die Edel-Varianten, die sich durch eine teilweise exorbitante Lichtstärke, hochwertige und dauerhafte Materialien, eine besondere Ausstattung und vorbildliche Verarbeitung auszeichnen, können jedoch auch richtig teuer werden. Hersteller von Autofokuskameras integrieren selbstredend AF in ihre Objektive, doch es gibt auch Ausnahmen (Nikon Z 0,95/58 mm S Noct). Von Fremdherstellern gibt es sowohl 50er mit als auch ohne AF. 

Bildstabilisatoren finden sich in Festbrennweiten kaum, bei den (oft lichtschwächeren) Zooms, die diesen Brennweitenbereich abdecken, hingegen schon. Hier sind Kameras mit integriertem Bildstabilisator im Vorteil. Wie bei allen Objektiven ist ein Spritzwasserschutz nie verkehrt und beruhigt, wenn es mal zu tröpfeln beginnt.

Fotografieren mit der Normalbrennweite am APS-C-Sensor

Die am APS-C-Sensor der EOS 7D Mark II eingesetzten 29 mm Brennweite entsprechen – berechnet mit dem Crop-Faktor 1,6 für Canon-APS-C – rund 46 mm.
Objektiv: Canon EF-S 4-5,6/18-55 mm IS STM
Aufnahmedaten: 29 mm, Blende f/7,1, 1/320 s, ISO 100
Kamera: Canon EOS 7D Mark II

Foto: © Lars Theiß

Sowohl eine Entfernungsskala als auch eine Schärfentiefeskala können in der Praxis nicht nur bei Manuellfokusvarianten hilfreich sein, insbesondere bei Stativaufnahmen. Je nach Kamerasystem sollten Sie auf einen Blendenring achten, bei Zooms auf eine Auszugsverlängerung beim Zoomen. Eine mitgelieferte Streulichtblende erspart Nachkauf und Zusatzkosten.

Fotografieren mit der Normalbrennweite

Das außergewöhnliche Objektiv

Das spektakuläre "Normalobjektiv“ der jüngeren Zeit ist das Nikkor 0,95/58 mm Z S Noct für Nikons Vollformat-Spiegellose. Mit seiner Anfangsöffnung von f/0,95 ist es extrem lichtstark und trägt deshalb die Bezeichnung „Noct“, in Anlehnung an das legendäre Nikkor Noct 1,2/58 mm für das F-System. 

Die massive Metallfassung des Manuellfokusobjektivs besitzt eine ungewöhnliche Ausstattung, darunter einen Steuerring für Blende oder Belichtung, eine Funktionstaste (entsprechend den Kamera-Funktionstasten) und ein OLED-Display, das Blendenwert, Entfernungseinstellung oder Schärfentiefe anzeigt.

Außergewöhnliche Normalbrennweite von Nikon Äußerst lichtstark und breit ausgestattet: Nikon Nikkor 0,95/58 mm Z S Noct.

Äußerst lichtstark und breit ausgestattet: Nikon Nikkor 0,95/58 mm Z S Noct.

Foto: © Nikon

Ebenfalls ungewöhnlich: Die Stativschelle, die bei einem Objektivgewicht von rund zwei Kilo durchaus angebracht ist. Kaufinteressenten müssen derzeit Geduld für eine Lieferfrist und etwa 9000 Euro mitbringen, der Preis ist inklusive Koffer.

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