Mittlere Weitwinkelobjektive – was sie können und was nicht

Objektivschule Teil 2: Objektive mit mittleren Weitwinkelbrennweiten zwischen 20 und 28 Millimeter haben bestimmte Eigenschaften, Bildwirkungen und fotografische Reize. Wir geben Tipps zum Einsatz von Weitwinkelobjektiven und Ratschläge zum Kauf.

Porträt Lars Theiß

Lars Theiß

Praxis-Redakteur, seit 1995 im fotoMAGAZIN-Team.

Mittlere Weitwinkelobjektive – was sie können und was nicht
Foto: © Getty Images / Minerva Studio

Im zweiten Teil unserer Objektivschule geht es um mittlere Weitwinkel. Was meinen wir damit? Nach den Normalobjektiven in Teil 1 geht es in dieser Folge um Fest­brennweiten und Zooms, die sich im Brennweitenbereich zwischen 20 und 28 mm bewegen.

Dabei beziehen wir uns immer auf die kleinbildäquivalente Brennweite, das heißt, dass auch ein Fujifilm XF 16 mm (APS-Crop-Faktor 1,5) oder ein Panasonic G 14 mm (MFT-Crop-Faktor 2) gemeint sind. Die diagonalen Bildwinkel betragen zwischen 94 und 75 Grad.

Tipps zur Weitwinkel Fotografie Weitwinkelobjektive fangen eine große Weite ein. Achten Sie darauf, dass sich in dieser Weite auch etwas Lohnendes abspielt.

Weitwinkelobjektive fangen eine große Weite ein. Achten Sie darauf, dass sich in dieser Weite auch etwas Lohnendes abspielt.

Foto: © Getty Images / iStockPhoto / Helen Ross

Was wir hier und heute mittlere Weitwinkel nennen, war noch vor wenigen Jahrzehnten der Bereich der starken bis extremen Weitwinkel. Zooms begannen bei 35 mm, später dann war der typische Brennweitenbereich von Standardzooms 28-70 mm. Mittlerweile sind wir bei Anfangsbrennweite 24 mm angelangt, während Superweitwinkel schon an der 10-mm-Marke kratzen – keine Fisch­augenobjektive!

Unsere Objektivschule:

Motive und Bildwirkung

Vermutlich denken viele Leute beim Stichwort Weitwinkel zuerst an Landschaftsaufnahmen. Das ist auch ein typischer Einsatzbereich, vorausgesetzt die Landschaft ist abwechslungsreich gegliedert und gibt visuell etwas her. Der große Bildwinkel eignet sich prima, um üppige Landschaften oder Stadtansichten abzulichten.

Mit dem Weitwinkel Architektur fotografieren

Mit mittleren Weitwinkeln bekommen Sie viel aufs Bild, müssen aber immer mit stürzenden Linien rechnen. Eine perfekte Ausrichtung der Kamera ist bei Architektur essenziell.
Objektiv: Tamron SP 2,8/15-30 mm Di VC USD | Aufnahmedaten: 20 mm, Blende f/6,3, 1/500 s, ISO 100 | Kamera: Nikon D850

Foto: © Lars Theiß

Im Grunde ist das mittlere Weitwinkel die universellste Brennweite im Objektivfuhrpark. Fast jedes Motiv können Sie damit fotografieren.

Weitwinkel eigenen sich in der Fotografie daher für die unterschiedlichsten Bilder. Sollte das Hauptmotiv im Bild zu klein abgebildet sein, müssen Sie eben näher herangehen. Ist das nicht möglich, schlägt die Stunde des Teleobjektivs.

Was mit dem Weitwinkel nicht gut gelingt, sind eine Verdichtung von hintereinander gestaffelten Objekten, eine Freistellung von Motiven oder das Aufräumen der Bildanteile mit Konzentration auf das Hauptmotiv.

Ausnahme: Bei sehr lichtstarken Weitwinkeln und geringem Aufnahmeabstand lässt sich mit offener Blende sehr wohl eine schöne Freistellung erzielen, wie beispielsweise beim Portrait des Seemanns. Portraits sind also auch mit Weitwinkelobjektiven möglich.

Weitwinkel Fotografie: Portraits

Ein Portrait mit dem Weitwinkel? Das geht durchaus, wenn Sie einen passenden Hintergrund zur Person haben und mit offener Blende dicht an sie heranrücken. Diese körperliche Nähe ist allerdings nicht immer angebracht.
Objektiv: Sony FE 1,4 / 24 mm GM | Aufnahmedaten: 24 mm, Blende f/1,4, 1/1600 s, ISO 50 | Kamera: Sony Alpha 7R III

Foto: © Lars Theiß

Die typbedingte größere Schärfentiefe der Weitwinkel (im Vergleich zu Teleobjektiven) kommt Motiven wie Landschaft oder Architektur zugute. Weitere gängige Motive sind (Architektur-)Innenaufnahmen, Street Photography oder Gruppenfotos mit begrenztem Aufnahmeabstand.  

Eine charakteristische Eigenschaft von Weitwinkelobjektiven ist die Betonung von Fluchtlinien. Das kann eine dyna­mische Wirkung erzeugen, besonders wenn der Vordergrund mitspielt. Je größer der Bildwinkel, desto stürzender die Linien: Wir kennen die Fotos aus Innenstädten, bei denen sich die Hochhäuser scheinbar nach oben hin zueinander neigen. Auch das ist ein Effekt, der Dynamik ausstrahlen, aber auch lächerlich wirken kann.

Wer das vermeiden will, muss die Sensorebene senkrecht bzw. die Objektiv­achse waagerecht bringen (und vermutlich ein paar Schritte rückwärts gehen), um die Verzerrungen zu eliminieren.

Weitwinkel Fotos: Landschaft

Landschaftsaufnahmen sind eine Stärke der mittleren Weitwinkel. Gut gestaffelte und verteilte Bildelemente sowie eine ausreichende Schärfentiefe durch Abblenden sorgen für einen harmonischen Bildeindruck.
Objektiv: Tamron SP 2,8/15-30 mm Di VC USD | Aufnahmedaten: 24 mm, Blende f/5,0, 1/160 s, ISO 100 | Kamera: Nikon D850

Foto: © Lars Theiß
Die Brennweite
Mit Brennweite ist bei Fotoobjektiven immer die Bildbrennweite gemeint. Sie ergibt sich aus dem Abstand der Hauptebene eines Linsensystems zur Sensoroberfläche. Entspricht diese Entfernung weitgehend der Diagonalen des Aufnahmemediums (beim Vollformat sind es 43,3 mm), spricht man von einem Normal- oder Standardobjektiv mit rund 53 Grad Bildwinkel. Ein Weitwinkelobjektiv hat also einen größeren Bildwinkel und eine kürzere Brennweite, ein Tele einen knapperen Bildwinkel und eine längere Brennweite.

Stärken und Schwächen mittlerer Weitwinkelobjektive

Zu den Vorteilen eines mittleren Weitwinkels gehört, dass sie eine recht kurze Nahgrenze besitzen und dass Sie nahezu immer alles auf dem Bild haben, was Sie einfangen wollten. Oft aber auch viel mehr als gewünscht. Das kann beispielsweise bei der Street Photography klasse sein, weil Sie dann Überflüssiges an den Rändern abschneiden und den Horizont gerade ausrichten können, doch darunter leidet wiederum der Datensatz. 

Mittlere Weitwinkel verzeichnen mal mehr, mal weniger stark – aber fast immer tonnenförmig. Wenn Ihr Motiv also ein formatfüllendes, klassisches Haus wäre, das Sie mit horizontal ausgerich­tetem Objektiv aufnehmen, könnte es auf dem Foto wirken als würde es die Wangen aufblähen. Mittlerweile stark verbreitet sind Korrekturprofile in Kameras, den Objektiven selbst oder in Bildbearbeitungs-Softwares, die diese Verzeichnung selbstständig oder auf Knopfdruck herausrechnen – zu Lasten der Randauflösung und des Bildwinkels.

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 20-28 mm: Canon, Fuji, Nikon, Olympus, Panasonic, Pentax

Welche Features können mittlere Weitwinkel besitzen?

Ein Ausstattungsfeuerwerk dürfen Sie bei Weitwinkeln nicht erwarten, doch es gibt ein paar Funktionen, die das Fotografieren erleichtern und verbessern. Eine hohe Lichtstärke kann bei schlechten Lichtverhältnissen oder Aufnahmen bei Nacht hilfreich sein, in unserer Übersicht finden Sie einige Modelle mit Anfangsöffnung f/1,4.

Diese Lichtstärke müssen Sie allerdings auch bezahlen, lichtschwächere Weitwinkel sind günstiger und reichen in vielen Fällen für die gängigen Motivbe­reiche aus. Wenn Sie sowieso häufig für eine große Schärfentiefe abblenden, spielt die Lichtstärke eh keine Rolle. Das gilt sowohl für Festbrennweiten als auch für Zooms. Bei einigen Zooms dieses Brennweitenbereichs finden Sie sogar eingebaute Bildstabilisatoren, die durchaus von Nutzen sind. 

Autofokus erleichtert wie immer die Scharfeinstellung. Wenn Sie gerne per Hand scharfstellen, hilft ein breiter, griffiger Fokussierring. Die Handwerker unter Ihnen könnten auf einen Blendenring achten.

Bei Manuellfokusobjektiven von Fremdherstellern sollten Sie darauf achten, ob elektronische Kontakte zur Datenübertragung vorhanden sind. Sonys G-Master-Objektiv FE 1,4/24 mm verfügt über eine programmierbare Fokus­haltetaste und einen Schalter, um den Blendenring auf stufen- und geräusch­los zu stellen, was Filmer erfreut.

Absolut wichtig ist eine passende Streulichtblende. Eine gute Abdichtung gegen Staub und Spritzwasser schadet nicht, ebensowenig wie eine Entfernungsskala und eine Schärfentiefeskala beispielsweise bei Stativaufnahmen oder im Dunkeln – das Zeiss Batis 25 mm besitzt zu diesem Zweck sogar eine OLED-Anzeige!

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 20-28 mm: Sigma, Sony, Tamron, Tokina, Voigtländer, Zeiss

Das außergewöhnliche Objektiv

Was auf den ersten Blick wie ein langes Tele aussieht, ist in Wirklichkeit ein 24-mm-Objektiv! Das Laowa 14/24 mm Macro Probe (ausführlicher Praxistest in fM 2/2019) ist für Vollformat gerechnet und wird per Hand scharfgestellt. Es bietet nicht nur einen großen Aufnahmewinkel von 85 Grad, sondern auch exzellente Makro-Fähigkeiten: Bis auf 20 mm Arbeitsabstand können Sie mit der Frontlinse ans Objekt heranrücken.

Die äußerst geringe Anfangsöffnung von Blende f/14 mag abschrecken und das Bild viel Licht benötigen, doch sie liefert bereits eine gewisse Schärfentiefe für Makroaufnahmen. Das Kästchen in der Mitte ist ein Stromanschluss, um die neun LEDs rund um die Frontlinse zu versorgen.  Bis zum Anschluss ist das Laowa sogar wasserdicht! Kostenpunkt: ca. 1800 Euro (für Canon EF, Nikon F, Pentax K und Sony E).

Außergewöhnliches Weitwinkelobjektiv

Das Laowa 14/24 mm Probe ist über 40 cm lang und steckt seinen Rüssel liebend gerne in unbekannte Makrowelten.

Foto: © Laowa

Lesen Sie jetzt den Testbericht inklusive Aufnahmen aus dem Miniatur Wunderland Hamburg.

Beitrage Teilen