Lost Places: Die Suche nach geheimen Orten

Das Abbilden von aufgegebenen und verfallenden Gebäuden und Geländen ist für viele Fotografen ein spannendes Thema – doch wie werden die „Lost Places“ zu „Found Places“? Wir helfen bei der Spurensuche.

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Die ganze Welt der Fotografie

Lost Place, Ballsaal

Ballsaal in einem einst fürstlichen Hotel in Thüringen, fotografiert im Rahmen einer gebuchten Fototour mit dem Veranstalter go2know. Brennweite 15 mm | Blende f/11 | Verschlusszeit 1/4 s | ISO 200

Foto: © Charlie Dombrow

Text: Charlie Dombrow

Überall in Deutschland gibt es spannende Locations, die in allen möglichen Stadien des Verfalls von historischer Größe und historischen Ereignissen künden. Einige dieser Ruinen sind tausendfach besuchte Touristenmagnete, andere kaum bekannt oder völlig vergessen und weitgehend sich selbst überlassen. Auch mystische Plätze, alte Friedhöfe und andere ebenso unheimliche wie fotogene Orte sind sehr verbreitet. Viele interessante Motive jedoch sind gut verborgen und schwer zu finden.

Lost Places finden

Wer vergessene und geheimnisvolle Orte fotografieren möchte, muss diese erst einmal entdecken. Leider werden solche von Otto-Normalbürger als Schandflecken empfundenen Anwesen in Reiseführern, der Touristikwerbung und sogar auf Landkarten gern verschwiegen und verleugnet. Einfacher gestaltet sich erfahrungsgemäß die Recherche im Internet. Googeln Sie Begriffe wie „Urbex“ oder „Lost Places“ – am besten in Verbindung mit dem Namen einer Region oder einer Stadt – und staunen Sie, wie viele Ergebnisse zu diesem Thema Ihr Computer auf Anhieb ausspuckt. Erst später werden Sie merken, dass die gewünschte Eingrenzung des Suchgebiets die Suchmaschinen nicht davon abhält, auch viele verlassene Orte in ganz anderen Gegenden anzuzeigen.

Lost Place im alten Bauwerk

Manchmal können Sie auf Fotos verlassener Orte, die Sie im Internet entdecken, auch Rückschlüsse auf den Standort ziehen. Durch das Fenster dieses Bauwerks beispielsweise ist am Horizont eine Burg zu erkennen: Wenn Sie diese identifizieren, können Sie auf den Lost Place schließen. Brennweite 18 mm | Blende f/11 | Verschlusszeit 1/8 s | ISO 200.

Foto: © Charlie Dombrow

Es gibt zahlreiche Bildbände über verlassene Orte, in denen die Autoren manchmal auch den realen Namen einer Location benennen – viele Lost Places sind allgemein nur unter Nicknames bekannt –, vielleicht sogar Näheres zur Lage und Adresse verraten. Dies widerspricht zwar dem Kodex, fördert aber möglicherweise den Verkauf. Bildbände, die vielfach regional begrenzt Objekte aus der jeweiligen Stadt oder Gegend präsentieren, bieten auf jeden Fall wertvolle Hinweise und Anreize zu weiteren Recherchen. Da verlassene Orte eine vergängliche Spezies sind, ergeben eigene Nachforschungen allerdings in vielen Fällen, dass der im Buch gezeigte tolle Lost Place schon abgerissen oder längst instandgesetzt wurde.

Vorsicht ist geboten!

Im Internet zeigen viele „Urbexer“ stolz ihre fotografischen Trophäen, häufig geografisch geordnet oder nach Themen. Mancher verrät dort auch die Adressen. Hinweise liefern zudem die Webseiten von Geocachern und Geisterjägern, die manchmal verraten, wo sie fündig wurden. Doch Vorsicht ist geboten. Einige Ruinenknipser machen sich einen Spaß daraus, neue Namen für die präsentierten Objekte zu erfinden oder völlig falsche Standorte anzugeben, um Sie gezielt in die Irre zu führen. Das angeblich in Rumänien gefundene Kraftwerk könnte also auch irgendwo im Ruhrpott stehen und Schloss X heißt in Wirklichkeit womöglich Schloss Y. Wie alle Informationen im Internet sind solche Angaben also mit größter Vorsicht zu betrachten.

Haben Sie eine Adresse oder eine ungefähre Ahnung davon, wo sich ein Objekt befinden könnte, nutzen Sie am besten einen Online-Kartendienst wie Google Maps, um die Angaben zu überprüfen und das Gelände schon von zu Hause aus zu sondieren. Manchmal sind mögliche Zugänge zu erkennen, aber auch Hindernisse, die einen realen Zugang verhindern könnten. Verlassene Orte kann man in den detaillierten Luftaufnahmen meistens relativ einfach identifizieren: Das fragliche Areal ist vielleicht deutlich sichtbar zugewuchert, im Dach sind Löcher erkennbar oder man sieht weder direkt am Objekt geparkte Autos noch andere Dinge, die auf eine momentane Nutzung hinweisen. Natürlich müssen Sie beachten, dass manche Kartenausschnitte schon einige Jahre alt sein können und vielleicht nicht mehr aktuell sind. Enttäuschungen vor Ort bleiben auch bei bester Vorbereitung nicht aus.

Kasteel Almere

Einer der seltenen Lost Places in den Niederlanden: die Bauruine eines Hotels in Form einer Ritterburg. Das Projekt wurde vor einigen Jahren aufgegeben.
Brennweite 105 mm | Blende f/9 | Verschlusszeit 1/800 s | ISO 200.

Foto: © Charlie Dombrow

Abenteuerreisen zu Hause

Einsichten in die Nebenwelten erfordern einen besonderen Blick. Wo Normalsterbliche nur einen Schandfleck in der wohlgeordneten, klinisch sauberen bürgerlichen Welt sehen, entlockt der Anblick von Rost, Trümmern und Verfall einem Urbexer wohlige Schauer und das dringende Verlangen, den Niedergang mit der Kamera für die Ewigkeit zu konservieren. Sind Sie noch ein Novize im Reich des Morbiden, ist es gewiss keine schlechte Idee, erst einmal im heimischen Umkreis nach verfallenden Motiven zu suchen und sich mit der bröselnden Materie vertraut zu machen, bevor Sie zu größeren Touren aufbrechen.

Sie werden überrascht sein, wie viel Leerstand und Ruinen man selbst in guten Ortslagen entdecken kann, wenn man erst einmal gezielt nach solchen Objekten Ausschau hält. Streifen Sie mit offenen Augen und fokussiertem Geist durch Ihre Nachbarschaft. Verlassen Sie dabei auch Ihre gewohnten Wege und suchen Sie in Gegenden, die Sie sonst meiden oder ignorieren. Industriegebiete, Hafen- und Bahnanlagen, heruntergekommene Stadtviertel, aber auch manche Parks und alte Friedhöfe bergen häufig überraschende Locations, die Sie bisher vielleicht einfach nur übersehen haben. Das vergessene Wohnhaus im verwilderten Garten um die Ecke, der verwitterte Schuppen am Bahnhof oder die stillgelegte Fabrik am Ortsausgang können lohnende Objekte sein, um Ihr fotografisches Sehen neu zu justieren und die oft vorhandene Scheu zu überwinden, ungewohntes Terrain zu erforschen.

Lost Autobahn

Die stillgelegte Autobahnausfahrt im Frankfurter Norden wuchert langsam zu. Sie existiert mittlerweile nicht mehr.
Brennweite 38 mm | Blende f/11 | Verschlusszeit 1/320 s | ISO 200.

Foto: © Charlie Dombrow

Bevor Sie ein fremdes Grundstück betreten, das den Eindruck erweckt, es sei unbewacht und verlassen, vergewissern Sie sich besser von öffentlichem Gelände aus, ob Sie richtig liegen. Es gibt viele Immobilien, die auf den ersten und auch auf den zweiten Blick wie ein Lost Place wirken, bis Ihnen das geparkte intakte Auto im Hof auffällt oder die Mülltonne, die regelmäßig geleert zu werden scheint. In Deutschland wird auf Eindringlinge zwar nur selten scharf geschossen, aber unangenehme Fragen der plötzlich auftauchenden Bewohner oder gar eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs drohen, wenn Sie allzu forsch in fremde Gefilde eindringen und dabei in flagranti erwischt werden.

Machen Sie Eigentümer ausfindig und bitten um Erlaubnis!

Am besten versuchen Sie, neu entdeckte Locations erst einmal von der Straße aus abzulichten oder durch offene Fenster oder Löcher im Zaun zu knipsen. Wohnt doch jemand dort, taucht dann oft dieser Jemand auf, um nachzufragen, warum Sie sein Haus fotografieren. Lässt sich niemand blicken, fragen Sie vielleicht die neugierigen Nachbarn nach dem Status und den Besitzern der fraglichen Immobilie. Bestätigt sich Ihr Verdacht, einen verlassenen Ort entdeckt zu haben, versuchen Sie am besten, die Eigentümer ausfindig zu machen und ihre Erlaubnis zu erbitten, das Gelände betreten zu dürfen. Jeder Locationscout sucht schließlich nicht nur Fotomotive, sondern muss sich auch um die nötigen Genehmigungen kümmern.

„Wer also zu Hause in seiner Gegend nicht fündig wird, hat nicht richtig gesucht.“

Charlie Dombrow, Locationscout und Fotograf

Sämtliche Fotos, die diesen Artikel illustrieren, entstanden in der Bankenmetropole Frankfurt am Main und im Speckgürtel um diese gewiss nicht arme Stadt herum, also in einer florierenden Gegend mitten in Deutschland, in der es weder Slums noch No-go-Areas gibt. Trotzdem findet man auch dort leer stehende Gebäude und Reste verfallender Industrie und Infrastruktur, wie in jeder anderen Großstadt auch. Selbst in den benachbarten Kommunen am Taunusrand, wo mehr Millionäre wohnen als irgendwo sonst in Deutschland, gibt es etliche Lost Places. Wer also zu Hause in seiner Gegend nicht fündig wird, hat nicht richtig gesucht.

Lazarett, Lost Place

Ehemaliger Laborraum in einem Lazarett, das Bestandteil einer von go2know angebotenen ausgedehnten Fotobase im „Haus der Offiziere“ ist. Brennweite 16 mm | Blende f/11 | Verschlusszeit 1 s | ISO 200.

Foto: © Charlie Dombrow

Neben einigen maroden Immobilien, die meist nur auf ihren Abriss warten, gibt es in Frankfurt auch wunderbare verwunschene Orte mit morbidem Charme. Der Hauptfriedhof beispielsweise ist einer der schönsten Friedhöfe in Deutschland mit zahlreichen alten Grabmalen, einer eindrucksvollen Gruftenhalle und mehreren stattlichen Mausoleen.

Organisierte Urbex-Expeditionen

Verspüren Sie wenig Lust, unter Umständen mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, weil Sie unerlaubt in fremdem Eigentum auf Motivsuche gehen? Möchten Sie nicht riskieren, sich dabei zu verletzen, weil Sie in ungesicherten Bruchbuden herumturnen? Wollen Sie einfach nur in Ruhe tolle Bilder machen, ohne sich ständig besorgt umschauen zu müssen, ob jemand kommt, der Sie erwischen könnte?

Für alle Fotografen, die keinen Adrenalinschub durch bewusste Grenzüberschreitungen suchen, gibt es spezialisierte Anbieter betreuter Fototouren zu verlassenen Orten. Sie müssen nur ein Exkursionsziel aus deren Angebot auswählen, einen Obolus entrichten und dürfen anschließend frei und ohne besonderes Risiko das Objekt erforschen und fotografieren.
Meistens handelt es sich bei den angebotenen Zielorten um große, sehr vielseitige Immobilien, die so dimensioniert sind, dass sich die Tourteilnehmer über das gesamte Areal verteilen können, ohne sich permanent gegenseitig den Blick auf das Motiv zu versperren. Zeitlich sind die Touren in der Regel so dimensioniert, dass die meisten Teilnehmer schon vor dem offiziellen Tourende erschöpft die Kameras wieder einpacken.

Lost Place, Papierwerk

Uralte Maschinen zur Herstellung von Papier aus Lumpen, zu finden in einer stillgelegten Fabrik, die man im Rahmen einer sechsstündigen organisierten Fototour erkunden darf. Brennweite 22 mm | Blende f/11 | Verschlusszeit 1/6 s | ISO 200.

Foto: © Charlie Dombrow

Der größte und bekannteste Veranstalter für organisierte Urbex-Expeditionen ist die Firma go2know aus Berlin. Sie bietet ausgedehnte Fototouren und Fotobases an morbiden Orten an. Neben bekannten Zielen wie den Heilstätten Beelitz und dem Haus der Offiziere findet man im Programm des Veranstalters auch Ausflüge in verlassene Hotels, in ein ehemaliges Gefängnis, in ein hervorragend erhaltenes altes Papierwerk, begleitete Reisen zu abenteuerlichen Zielen wie dem Buzludzha-Denkmal auf dem Balkan sowie Workshops zum Thema Lightpaintings. Diese Touren sind völlig legal, finden an weitgehend gesicherten Orten statt und ermöglichen entspannte Fotosessions, die nur dann in Stress ausarten, wenn die Kamerabatterien leer und die Speicherchips voll sind. Ist nur die Blase voll, stehen meist mobile Toiletten zur Verfügung.

Neben diesen Tourveranstaltern bieten auch die Eigentümer mancher Lost Places gegen ein geringes Entgelt angemeldeten Besuchern die Möglichkeit, ihre Objekte zu erkunden und zu fotografieren, ohne Begleitung und ohne Komfort, aber auch ohne Stress und das Risiko, wegen Hausfriedensbruch belangt zu werden.

Legale Fototouren in ausgesuchten Locations organisieren z. B. folgende Anbieter:

go2know.de – Schon seit 2010 veranstalten Andreas Böttger und Thilo Wiebers Fototouren an geheimen Orten, hauptsächlich in den östlichen Bundesländern. Neben den Touren werden auch Workshops angeboten.

martin-kaule.de – Martin Kaule ist Sachbuchautor (u. a. Reiseführer zu verlassenen Orten) und veranstaltet Urbex-Reisen, zum Beispiel zum ehemaligen Buzludzha-Museum in Bulgarien und zu geheimnisvollen Zielen rings um die Ostsee.

urbexplorer.com – Marek Romanowicz bietet oft mehrtägige Fototouren im Osten Deutschlands und in Osteuropa an, aber auch Fotoreisen an den Polarkreis.

Auch die Zahl spezieller Reiseführer und Bildbände zum Themenkreis „verlassene und geheime Orte“ wächst beständig. Einige Verlage veröffentlichen regelmäßig neue Werke, die als Anregung und zur Spurensuche nützlich sein können:

Empfehlenswerte Bücher aus anderen Verlagen:

  • „Fototouren an geheimen Orten“ von Andreas Böttger, Charlie Dombrow, Thilo Wiebers, Franzis Verlag, franzis.de
  • „neuLAND“ von Sven Fennema, Frederking & Thaler Verlag,
    frederking-thaler.de
  • „Stillgelegt“ von Kemnitz, Conrad, Täger, DuMont Reiseverlag, dumontreise.de
  • „Sagenhaftes Deutschland“ von Kilian Schönberger, Frederking & Thaler Verlag, frederking-thaler.de
  • „Verlassene Orte Berlin“ von Ciarán Fahey, be.bra Verlag, bebraverlag.de

Das Buch „Faszination Lost Places“

Als hauptberuflicher Loca­tionscout und Foto-Producer ist Charlie Dombrow auf spannende Orte für Fotografie spezialisiert. In seinem Buch „Faszination Lost Places“ (39,90 Euro, auch als E-Book erhältlich), aus dem wir mit freundlicher Genehmigung des Bildner Verlags diesen Auszug entnommen haben, erklärt er ausführlich alles, was Urban Explorer und Lost-Places-Neugierige wissen müssen.

Das Buch „Verlassene Orte“ vom Bildner Verlag

„Verlassene Orte“, erschienen beim Bildner Verlag.

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