Walter Schels

Seine TRANS-Serie widmet der gebürtige Landshuter Walter Schels (1936) transsexuellen Jugendlichen. Zusammen mit seiner Frau Beate Lakotta begleitet er diese oft über mehrere Jahre hinweg auf ihrem Weg der Geschlechtsanpassung.

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Die ganze Welt der Fotografie

Walter Schels

Walter Schels (*1936) ist einer der besten deutschen Porträtfotografen.

Foto: © Walter Schels

Das Hessische Landesmuseum Darmstadt zeigte vom September 2022 bis Februar 2023 vier der bekanntesten Fotoserien von Walter Schels: die Tierporträts, die Porträtserien zu Joseph Beuys und Andy Warhol, die Serie trans* und Schels' Blumenstudien, die der Schönheit des Verblühens nachgeht. Aus diesem Anlass sprachen wir mit dem Künstler über sein dort aktuellstes "TRANS-Projekt".

fotoMAGAZIN: Herr Schels, seit einigen Jahren widmen Sie sich Kindern und Jugendlichen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren können, in das sie hineingeboren wurden. Was fasziniert sie an dem Thema?
Walter Schels: Den meisten Menschen stellt sich nie die Frage, welchem Geschlecht sie angehören. Für diese Jugendlichen ist es seit Jahren die drängendste Frage überhaupt. Fast alle berichten, dass sie das Gefühl hatten, im falschen Körper zu leben, seit sie denken können. Zehn Jahre nach meiner ersten Begegnung mit Transjugendlichen fällt es mir noch immer schwer, mir das vorzustellen. Aber den Schmerz und das Leid, die damit verbunden sind, kann ich nachempfinden. Das Thema der Selbstablehnung ist mir nicht fremd.

Auf die Trans-Thematik sind meine Frau und ich gestoßen, als ein gemeinsamer Freund, ein Arzt, uns fragte, ob wir Lust hätten, seine Patienten zu porträtieren. Der Freund ist Endokrinologe, er behandelt junge Transmenschen. Das war 2013. Zu der Zeit war das Thema noch ein Tabu. Es ging dem Arzt darum, zu zeigen, dass seine Patienten ganz normale Jugendliche sind und nicht irgendwelche Paradiesvögel. Deswegen haben wir auch Video-Interviews geführt. Für die Videos und Texte in dem Projekt ist meine Frau verantwortlich, sie ist Journalistin.

„Es geht bei der Serie weniger um die körperliche Veränderung als um Identität.“

Walter Schels, Fotograf

fotoMAGAZIN: Mit welchen Herausforderungen und Vorurteilen mussten Sie dabei selbst erst umgehen lernen?
Walter Schels: Die Gespräche berühren zwangsläufig schambesetzte Themen. Manche schämen sich für die Ablehnung, die ihnen von Altersgenossen entgegenschlägt – Hänseleien auf dem Schulhof oder im Sportverein. Ich finde es auch nicht einfach, mit jungen Menschen über Brustamputationen und Penisprothesen und die damit verbundenen Ängste und Hoffnungen zu sprechen. Aber für die Betroffenen sind das existenzielle Themen.
In der Regel sind die Eltern bei den Terminen dabei, zumindest, so lange die Teilnehmer minderjährig sind – die jüngste Teilnehmerin war bei der ersten Aufnahme elf Jahre alt. Das ist einerseits eine Absicherung für uns, aber den Porträtierten macht es das Fotografiert werden und Sprechen nicht unbedingt leichter.

fotoMAGAZIN: Wie reagieren diese jungen Menschen auf die Fotos, die Sie von ihnen machen?
Walter Schels: Die meisten meiner Porträts zeigen die Jugendlichen ohne Mimik, mit einem direkten Blick in die Kamera bei gleichmäßigem Licht und mit weichen Schatten. Eine Fotografie, die vollkommen einfach erscheint. Das Besondere daran ist der Blickkontakt. Er stellt eine Beziehung zwischen Porträtiertem und Betrachter her. Mir gefallen diese unverstellten Gesichter. Von den Porträtierten habe ich bisher gute Resonanz bekommen. Viele mögen sich so, wie ich sie zeige. Es geht bei der Serie weniger um die körperliche Veränderung als um Identität. Die Jugendlichen entscheiden selbst, wie viel sie von sich zeigen. Ich würde nie jemanden bitten, den Pulli auszuziehen.

fotoMAGAZIN: Wie reagieren andere Betrachter auf diese Bilder und haben sich die Reaktionen in den letzten Jahren verändert?
Walter Schels: Manche suchen nach einem klassischen Vorher-Nachher-Schema, aber das gibt es nicht. Wenn die Jugendlichen zum ersten Mal zu mir kommen, leben sie ja bereits in ihrem als richtig empfundenen Geschlecht, manche seit vielen Jahren. Die Veränderungen, die ich festhalte, sind sehr subtil. Es ist auf den ersten und oft auch auf den zweiten Blick nichts Auffallendes an diesen Gesichtern. Man blickt in das Gesicht eines Mädchens. Nur, dass diese Person zu diesem Zeitpunkt biologisch noch zu 100 Prozent ein Junge ist. Man muss schon wissen, was man sieht, um darüber zu staunen.

fotoMAGAZIN: Die Fotografie hält immer etwas fest, das im nächsten Moment Vergangenheit ist. Transmenschen wollen aber gerade mit dieser Vergangenheit nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Ein Dilemma?
Walter Schels: Das stimmt. Manche Teilnehmer sagen, sie erkennen sich auf den ersten Fotos aus der Serie nicht wieder. Sie können sich mit ihrem früheren Ich schwer identifizieren. Manche hassen ihren alten Körper oder es fällt ihnen schwer, ihren alten Namen zu sagen. Sie möchten sich an diese schwierige Lebensphase nicht erinnern.
Manche, bei denen die Umwandlung abgeschlossen ist, sagen: Damals war ich trans, aber heute bin ich ein Mann oder ich bin eine Frau. Einige wollen das Geheimnis ihrer Transidentität wahren, weil sie Ablehnung fürchten. Andere überwinden alle Ängste: Ein Teilnehmer hat sich beim Einstellungsgespräch bei der Polizei als Trans-Mann geoutet. Er wurde genommen und will jetzt dort einen queeren Stammtisch ins Leben rufen. Das wäre vor zehn Jahren wohl noch undenkbar gewesen.
Wir haben aber mittlerweile auch drei Teilnehmer, die den Weg zurück gegangen sind und jetzt wieder in ihrem Geburtsgeschlecht leben.

Das Interview führte für uns der freie Journalist Damian Zimmermann im Dezember 2022.

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