Ein Foto muss nicht perfekt sein

Zwei Fragen, die ich mir als Fotograf immer wieder stelle, lauten: Was bedeutet Perfektion? Und wie viel Perfektion braucht ein Bild – und ab welchem Level schadet es ihm?

Sebastian Sonntag

Sebastian Sonntag

Freier Journalist und Fotograf

Illustration Sebastian Sonntag Kolumne

Kolumne: „Immer wieder Sonntag“ – von Sebastian Sonntag

Illustration: © Getty Images

Zu Frage eins lässt sich sagen, dass viele Fotos in mancher Hinsicht perfekt sind, aber nur wenige in jeder Hinsicht. Der Moment kann perfekt sein, der Ausdruck, die Präsentation eines Produktes, die Schärfe. Meines Erachtens muss und sollte ein Bild nicht rundum perfekt sein. Ich halte schon den Ansatz für falsch. Warum?

„Für mich zählt vor allem die Emotionalität und Authentizität von Bildern.“

Sebastian Sonntag, Fotograf

Die Menschen, die Welt, unser Leben, nichts davon ist in jeder Hinsicht perfekt. Mit dem Anstreben und Erreichen umfassender Perfektion heben wir das Foto aus unserer Welt heraus in eine Scheinwelt (Instagram lässt grüßen).

Bei Kampagnenfotos der Modebranche werden häufig an einem Tag nur eine Handvoll Motive umgesetzt. Bisweilen nur eines, für Fotostrecken in Magazinen plant man in der Regel mit etwa acht Bildern. Jedes noch so kleine Detail wird hier perfektioniert. Ein Kraftakt an Konzentration und Ausdauer mit einem künstlerisch, posen- und lichttechnisch makellosen Ergebnis. Aber eben ein Kunstprodukt und dadurch emotional oft irgendwie tot.

Moderne Modemagazine sind sich dieses Problems bewusst und so finden seit einigen Jahren Pickelchen, verirrte Haarsträhnen und Schatten den Weg aufs fertige Bild, die früher mit Sicherheit wegretuschiert worden wären. Eine Illusion von Realität, um dieses Problem zu umgehen. Für mich zählt vor allem die Emotionalität und Authentizität von Bildern. Die lässt sich in einem Porträt von Peter Lindbergh ebenso finden wie in Henri Cartier-Bressons Mann, der über die Pfütze springt.

Letztlich ist der Fokus auf eine bestimmte, selektive Form der Perfektion Teil des individuellen künstlerischen Ausdrucks – aber übertreiben Sie es nicht!

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