Tom Bowden: Gesichter Amerikas

Schrille Selbstdarsteller und der stete Blick auf die, die an den Rändern der Gesellschaft leben. Tom Bowdens inszenierte Porträts der Amerikaner zeigen uns ein Panoptikum der US-Society.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Mann, verkleidet als „Satan“

Satans morgendlicher Spaziergang: Kurt, New Orleans, 2022.

Foto: © tbowdenproductions, Inc

„Alles, was im Leben wirklich aufregend sei, berge einen Hauch von Gefahr in sich, hat mir mal jemand gesagt. Dem kann ich aus heutiger Sicht nur zustimmen“, meint Tom „TBow“ Bowden. „Als Straßenfotograf bin ich bereits mehrfach angegriffen worden, mir wurde von einer Frau ein flotter Dreier im Bett angeboten, nachdem ich sie fotografiert hatte und im Luftraum über Japan wäre ich mal fast aus einem Hubschrauber gefallen.“

Zu jedem Bild hat Tom Bowden eine Anekdote seiner Begegnung

Klingt nach einer Biographie, die sich jenseits all der faszinierenden Bilder dieses Fotografen ziemlich flott lesen ließe. Die Karriere des studierten Bildjournalisten begann in den 1970er-Jahren als Fotograf und Kameramann bei dem US-Fernsehsender NBC und hat ihn rund um den Globus geführt. Jetzt sitzt mir der 70-Jährige an einem Tisch im Konferenzsaal des Whitehall-Hotels in Houston gegenüber und präsentiert knapp vierzig Fineart-Prints seiner Porträts der Amerikaner.

Tom Bowden

Tom Bowden bei den Portfolio Revwies in Houston im September 2022. Hier zeigt er dem fotoMAGAZIN Chefredakteur, Manfred Zollner, seine neueste Serie „Gesichter Amerikas“.

Foto: © Manfred Zollner

Während all die Paradiesvögel, die Selbstdarsteller, die traurigen Verlierer und Außenseiter der Gesellschaft jetzt in großformatigen Abzügen vor meinen Augen defilieren, gießen sich die lebhaft erzählten Anekdoten seiner Begegnungen als Spannungsbogen über dieses umfangreiche Portfolio.

Bewaffnete Frau im Supermarkt

Mit Knarre zum Kleenex-Kauf: Ellen kam 2016 bewaffnet in den Supermarkt von Clear Lake im Bundesstaat Texas.

Foto: © tbowdenproductions, Inc

„Street Photography ist meine Religion. In den Straßen warten die Bilder wie Geschenke auf mich.“

Tom „TBow“ Bowden, Street Photographer

Der Mann, den alle hier nur TBow nennen, berichtet lakonisch von jenem etwa zehnjährigen Mädchen, das er rauchend an einer Bushaltestelle mit Kätzchen im Arm angetroffen hat, dem rotgesichtigen Satanstyp, der ihm frühmorgens in New Orleans an die Schulter fasste und der Hausfrau mit Knarre in der Jeans, der er im texanischen Supermarkt begegnete.

Gefahr und Lebenslust

Heute lebt TBow, der Straßenfotograf, in Houston, doch seine Bilder sind in vielen anderen Großstädten des Landes entstanden, sie zeigen uns Amerikaner in New York, Los Angeles, Miami und anderswo. Manchmal setzt er sich in seinen alten Pick-up-Truck und fährt raus, um bei einem Event in irgendeinem texanischen Provinz-Kaff nach Charakteren Ausschau zu halten. „Die Vorbereitung ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Nachdem ich jahrelang durch die Straßen gezogen bin, weiß ich, wo es wahrscheinlicher scheint, dass ich interessante Menschen treffe – so wie ein guter Angler weiß, wo die Fische sind.“

In seinem Metier, der klassischen Street Photography, sieht Bowden heute zwei dominante Herangehensweisen. Du kannst als Beobachter, als stilles Mäuschen, in einer Ecke lauern und fotografieren, ohne wahrgenommen zu werden – oder ganz aktiv die Nähe zu den Porträtierten suchen. Zu dem letzteren Personentyp gehört der in Los Angeles geborene Bildermacher. Wenn möglich, bittet er die Menschen vor der Aufnahme um Erlaubnis, hört sich ihre Geschichten an und macht erst danach seine Porträts.

„Im Alter von 15 Jahren habe ich in einem Bildband meiner Schulbibliothek das Foto „Kind mit Spielzeug-Handgranate“ von Diane Arbus gesehen. Von diesem Augenblick an war für mich klar: Ich wollte mal ein Straßenfotograf werden“, erzählt Bowden.
Häufig findet er wie einst Arbus auf seinen Streifzügen Zugang zu Menschen, die auf der Straße leben und nicht das große Glück im Leben hatten. Menschen, die von der Gesellschaft meist ignoriert werden. Er hört ihnen zu, zeigt sie als Teil des heutigen Amerika und erzählt uns von ihrer Einsamkeit in den Straßen.

Die Kamera ist für Tom Bowden eine Art Passierschein für den Zugang zu Informationen

Bowdens Amerikaner haben in all diesen bunten, farbenfrohen Porträts Kanten und Abgründe. Er sieht in seiner Arbeit sowohl Elemente von drohender Gefahr als auch von Lebenslust und Freude. Seine Kamera sei für ihn eine Art Passierschein für den Zugang zu Informationen und eine Erlaubnis, Lärm zu machen, lautstark für Unterprivilegierte einzutreten, sagt er. „Street Photography ist meine Religion und darüber hinaus eine prima Übung, anderen zu helfen, sofern das möglich ist. Draußen auf der Straße ist die Aktivität, dort sind die Menschen und dort warten die Bilder wie Geschenke auf mich. In meinem Leben wird es nichts wichtigeres geben, als daran zu arbeiten.“

> Zur Website des Fotografen Tom Bowden

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