Leichte Weitwinkel – Wofür ein 35 mm Objektiv?

Objektivschule Teil 4: Nein, es geht nicht um das Gewicht: Leichte Weitwinkelobjektive vermitteln den ­leichten Eindruck eines Weitwinkels, bilden also mehr ab als ein Normalobjektiv. Wir erklären, wie dieser Objektivtyp um die Brennweite 35 mm Ihre Aufnahmen bereichern kann, denn er ist ein echter Allrounder.

Porträt Lars Theiß

Lars Theiß

Praxis-Redakteur, seit 1995 im fotoMAGAZIN-Team.

Leichte Weitwinkel – Wofür ein 35 mm Objektiv?
Foto: © scanrail / iStock / Getty Images Plus

Leichte oder gemäßigte Weitwinkel sind das Thema der Folge 4 unserer Objektivschule. Gemeint sind die Brennweiten zwischen 32 und 40 mm entsprechend Kleinbild, sei es als Festbrennweite oder Bestandteil eines Zooms, zum Beispiel 24-70 mm.

Fotografen mit kleineren oder größeren Sensoren als das klassische Kleinbildformat müssen an dieser Stelle den Brennweiten-Faktor berücksichtigen. Wie groß auch immer der Sensor oder das Filmformat ist: Wir reden von Aufnahmen mit einem diagonalen Bildwinkel von rund 68 bis etwa 57 Grad. Unter den Wechselobjektiv-Festbrennweiten in diesem Bereich ist das 35 mm sehr verbreitet, nur gelegentlich findet sich ein 40 mm im Sortiment (Canon EF, Nikon Z, Panasonic G, Sigma, Voigtländer, Zeiss Batis).

Leichte Weitwinkelobjektive in der Reportage- und Architekturfotografie

Diese Stativaufnahme entstand mit 32 mm Brennweite. Sie kombiniert Reportage (Resthochwasser in Hamburg) mit Architektur (Lichteffekte betonen nachts Gebäudedetails).
Objektiv: Panasonic Lumix S 2,8/24-70 mm Pro | Aufnahmedaten: 32 mm, Blende f/6,3, 25 s, ISO 100 | Kamera: Panasonic Lumix S1R

Foto: © Lars Theiß

Was das 35er so spannend macht, ist seine Vielseitigkeit für Motive und Sujets: Natürlich können Sie mit jedem Objektiv jedes Motiv fotografieren, aber leichte Weitwinkel eignen sich für viele Bildthemen ganz hervorragend und sind damit echte Allrounder.

Unsere Objektivschule:

Motive und Bildwirkung

Brennweiten um 35 mm sind bei vielen Street Photographern beliebt: Sie fotografieren zwar gerne Menschen auf der Straße, doch keine klassischen Portraits mit Brennweiten um 85 mm. Menschen werden lieber in ihrem Umfeld gezeigt, in dem sie agieren, oft schnappschussartig. Dazu ist dann eine gewisse Nähe nötig, doch auch ein gewisser Abstand, was das 35er leistet.

Rücken Sie dem Hauptmotiv dichter auf die Pelle und fotografieren Sie mit sehr weit geöffneter Blende, dann gelingt es sogar, die Person vor einem schön unscharfen, zurücktretenden Hintergrund freizustellen und eine große räumliche Tiefe im Bild zu erzeugen; auch wenn das bei der Street Photography eher selten das Ziel ist.

Street Photography mit dem leichten Weitwinkelobjektiv

Street Photography ist eine Domäne der gemäßigten Weitwinkel. Die Umwandlung in Schwarzweiß betont in diesem Fall die zahlreichen Linien im Bild.
Objektiv: Olympus M.Zuiko Digital ED 1,2/17 mm Pro | Aufnahmedaten: 17 mm (entspr. 34 mm KB), Blende f/2,2, 1/1250 s, ISO 100 | Kamera: Olympus OM-D E-M10 Mark III

Foto: © Lars Theiß

Andererseits ist es relativ leicht, eine große Schärfentiefe in das Foto zu bringen. Anhand der Schärfentiefeskala auf manchen Objektiven lässt sich sehr einfach ablesen, bei welcher Blende das Objektiv von wo bis wo scharf abbildet. Bei Objektiven mit Brennweiten zwischen 32 und 40 mm ist dazu normalerweise kein starkes Abblenden nötig, um von einer relativ kurzen Distanz bis unendlich Schärfe zu erzielen.

Der Haken: Eine Schärfetiefen­skala finden Sie heute fast nur noch an Manuellfokus- oder Makroobjektiven, natürlich in Kombination mit einer Entfernungsskala. So hat die Modernisierung der Fototechnik (und scheinbar nur geringer Protest der Nutzer) eine sehr sinnvolle Serviceleistung der Objektivbauer wegrationalisiert.

Ganz moderne Objektive nutzen allerdings die enthaltene Elektronik, um auf einem kleinen Display die Schärfentiefe (Beginn und Ende der scharfen Distanz) anzuzeigen, zum Beispiel das Zeiss Batis 2/40 mm CF. Nicht ohne Grund haben Kompaktkameras mit fester Brennweite, die bei Straßenfotografen sehr beliebt sind, ein leichtes Weitwinkel: die Fujifilm X100-Modelle, die Leica X oder die Sony RX1(R) (II) (alle 35 mm).

Sachaufnahme mit einem leichten Weitwinkel

Mit genügend Nähe zum Motiv können auch Sachaufnahmen mit leichtem Weitwinkel gelingen. Bei guten Objektiven hält sich die Verzeichnung im Rahmen.
Objektiv: Canon RF 2,8/15-35 mm L IS USM | Aufnahmedaten: 32 mm, Blende f/5, 1/800 s, ISO 400 | Kamera: Canon EOS R

Foto: © Lars Theiß

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Mit dem leichten Weitwinkel fotografieren

Bei Reportagen macht sich ein leichtes Weitwinkel ebenfalls gut, nicht umsonst wird das 35 mm auch als klassisches Reportageobjektiv bezeichnet: Es fängt eine Szenerie ein und gibt einen Überblick über die wichtigsten Handelnden (Gruppenportraits) oder einen Handlungsort. Gleichzeitig kann es auch Details aufgreifen, wenn Sie ihren Standort zum Objekt hin verlagern. Zwei, drei Schritte vor oder zurück ergeben gleich ein ganz anderes Bild. 

Je nach tatsächlicher Weite der Landschaft muss kein starkes Weitwinkel zum Einsatz kommen, um sie charakteristisch einzufangen. Mit einem etwas engeren Bildwinkel eines 35ers beispielsweise kommen die Details der Landschaft wie Berge, Bachläufe, Ortschaften, vielleicht Menschen und Tiere und anderes noch genügend groß im Bild heraus, um auch noch vom Betrachter erkannt zu werden und Größenverhältnisse im Abgebildeten einschätzen zu können. Je größer eine Landschaft ist, desto schwieriger wird es, sie adäquat mit einem starken Weitwinkel einzufangen – da sind die leichten Weitwinkel mit ihrem recht normalen Bildeindruck im Vorteil. 

Für jede Aufnahme mit einem gemäßigten Weitwinkel gilt auch, dass der Fotograf Obacht geben muss, was sich alles von den Rändern ins Bild „drängelt“. Links ein Zweig, rechts eine halbierte Laterne – schon muss das Foto anschließend beschnitten werden, was durchaus unerwünscht sein kann. Architektur ist eine weitere Domäne des Brennweitenbereichs: Der dem menschlichen Seheindruck nahekommende Bildwinkel sorgt für Bilder, die eher sachlich und nüchtern wirken. Für aufregende Architekturfotografie sind eher extreme Bildwinkel förderlich.

Landschaften mit dem leichten Weitwinkel fotografieren

Landschaft mit gemäßigtem Weitwinkel: die (eher monotone) Weite wird deutlich, doch die Bestandteile des Bildes bleiben erkennbar (inklusive Flusspferdwellen).
Objektiv: Panasonic Leica DG Vario-Elmarit 2,8-4/8-18 mm | Aufnahmedaten: 18 mm
(entspr. 36 mm KB), Blende f/4, 1/200 s, ISO 800 | Kamera: Panasonic Lumix GH5

Foto: © Lars Theiß

Was ist die Schärfentiefe?

Der Entfernungsbereich zwischen Anfangs- und Endpunkt einer hinreichenden Schärfe vor dem Objektiv wird Schärfentiefe genannt – die sieht man entsprechend im fertigen Bild. Wichtige Faktoren, die die Kürze oder Länge dieser Distanz beeinflussen, sind die Brennweite, die Blende und die Entfernungseinstellung. Heute haben fast nur noch Manuellfokusobjektive eine Entfernungs­skala mit Schärfentiefe­skala: An ihr lässt sich ablesen, von wo bis wo die Schärfentiefe bei der verwendeten Blenden­ein­stellung reicht.

Im unteren Bild sind links und rechts von der Indexmarkierung die Blendenwerte 4, 8 und 16 bezeichnet, die kurzen gelben Striche stehen für Zwischenwerte. Im Beispiel mit Blende f/16 beginnt die Schärfentiefe bei etwa 20 m und reicht bis unendlich. Das Zeiss Batis 2,8/135 mm zeigt im Display an, dass die Schärfentiefe – bei einer Einstellung von 6,9 m – von 6,8 bis 7,1 m reicht.

Die Schärfentiefe

Stärken und Schwächen

Insbesondere die Festbrennweiten können mit einer sehr hohen Lichtstärke konstruiert werden, siehe die Noktone von Voigtländer. Das bringt unter schlechten Lichtverhältnissen kürzere und damit verwacklungsfreiere Verschlusszeiten, da objektivbasierte Bildstabilisatoren fast immer fehlen.

Außerdem kann die Schärfentiefe zur Betonung des Hauptmotivs gering gehalten werden, was wiederum ein äußerst präzises Scharfstellen verlangt. Dieses Freistellen vor einem unscharfen Hintergrund gelingt aber nur, wenn der Fotograf dicht an das fokussierte Objekt heranrückt, also beispielsweise eine Person. Andererseits genügen ein sanftes Abblenden und ein Fokussieren in größere Distanz, um ein von vorne bis hinten scharfes Bild zu erlangen.

Leichte Weitwinkel neigen zur tonnenförmigen Verzeichnung, die sich – mit Verlusten an Auflösung – durch kamerainterne Korrekturen oder am Heimrechner beheben lässt. Letzteres gilt auch für die Randabdunklung bei hochöffnenden Exemplaren. Fotografen, die Wert auf eine sehr schlanke Ausrüstung legen, können nach einer Pancake-Bauweise für ihren Anschluss schauen oder gleich eine Kompaktkamera wählen.

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 32-40 mm: Canon, Fuji, Nikon, Olympus, Panasonic, Pentax

Welche Features können leichte Weitwinkel besitzen?

Die Ausstattung dieses Objektivtyps ist besonders bei Festbrennweiten oft schlicht. Manche Hersteller trimmen ihr Objektiv auf hohe Lichtstärke (wird groß und schwer), manche auf höchste Bildqualität (eher lichtschwach), andere auf geringe Größe (Stichwort Pancake) oder geringes Gewicht (Kunststoff). Dementsprechend unterscheiden sich die Fassungsqualitäten – und Preise.

Ziemlich verbreitet sind mittlerweile Vorkehrungen gegen das Eindringen von Feuchtigkeit und Staub. Spartanisch geben sich die meisten Manuellfokusexemplare, die immerhin oft Entfernungs- und Schärfentiefeskalen aufweisen – AF-Objektive bieten mittlerweile nur noch selten eine Entfernungs­skala.

Modernere Rechnungen schaffen teilweise extrem kurze Nahgrenzen. Zooms mit diesem Brennweitenbereich haben heute ausnahmslos Autofokus und gelegentlich eine Speichertaste, aber nur sehr selten einen Bildstabilisator. Da sind Kameras mit sensorbasierter Bildstabilisierung ein Vorteil. Lohnenswert ist das Verwenden einer Streulichtblende.

Typische Vertreter des Brennweitenbereichs 32-40 mm: Samyang, Sigma, Sony, Tamron, Voigtländer, Zeiss

Das außergewöhnliche Objektiv

Im Jahr 2014 stellte Voigtländer das Heliar 2,8/40 mm VM vor. Das nickelfarbene Objektiv (ca. 430 Euro) besitzt das M-Bajonett, wobei Voigtländer ausdrücklich betont, dass es nicht an M-Bajonett-Kameras angeschlossen werden sollte; außerdem kann es nicht scharfgestellt werden. Erst mit dem Nah+-Systemadapter VM/E (ca. 300 Euro) lässt es sich fokussieren und an Sony-E-Kameras einsetzen.

Dieser Adapter, der mittlerweile auch für Fujifilm-X- und Nikon-Z-Kameras erhältlich ist, kann um ca. vier Millimeter zum Fokussieren aus- und eingefahren werden und verringert dabei sogar die Nahgrenze des jeweiligen M-Objektivs deutlich – daher der Name Nah+. Das 132 g leichte Heliar selber hat eine Gesamtlänge von gerade einmal 21,4 mm, die für den Transport sogar auf 12,6 mm zusammengeschoben werden kann. EXIF-Daten werden nicht an die Kamera übertragen.

Voigtländer Heliar 2,8/40 mm VM

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