Nick Knight

Er ist einer der innovativsten britischen Bildermacher. Wir sprachen mit dem Fotokünstler Nick Knight anlässlich seiner Ehrung als „Master of Photography“ bei der Kunstmesse „Photo London“ über die Herausforderungen unserer Zeit und die Kraft des Mediums.

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Die ganze Welt der Fotografie

Nick Knight Porträt

Der Fotograf: Nick Knight, porträtiert von Britt Lloyd.

Foto: © Britt Lloyd

Text: Tom Seymour

Im Jahr 1975 kämpfte sich Nick Knight gerade durch sein Medizinstudium und schien bereits dazu bestimmt, sein Leben mit der Behandlung von Patienten zu verbringen. Dann entdeckte der diesjährige „Master of Photography“ der Kunstmesse „Photo London“ an einem Samstagnachmittag die Fotografie. Sie hat seinem Leben einen radikal anderen Kurs gegeben.

Florales Flow: „Rose VI“

„Snakes“, fotografiert für Alexander McQueen, 2009.

Foto: © Nick Knight

Knights erster Bildband mit dem Titel „Skinhead“ wurde 1982 veröffentlicht. Kurz darauf erhielt der Brite einen Auftrag des Redakteurs Terry Jones von der Kultzeitschrift „i-D“ und nun nahm die Karriere eines der heute bekanntesten Londoner Mode- und Porträtfotografen ihren Lauf. Seitdem hat Nick Knight mit Modedesignern vom Kaliber eines Alexander McQueen, Yohji Yamamoto, John Galliano und Christian Lacroix zusammengearbeitet und Musikvideos für Bjork, Lady Gaga und Kanye West produziert. Knights persönliches Schaffen ist parallel zu diesen professionellen Arbeiten gewachsen. Seine Mode- und Porträtfotografie, mit der er bekannt wurde, ist jetzt bei der „Photo London“ neben monumentalen Stillleben, Landschaften und Akten ausgestellt worden. Im Mittelpunkt der Ausstellung standen neue „digitale“ Skulpturen aus Alabaster sowie eine Filminstallation, die während des Corona-Lockdowns entstanden ist. Knight ist heute Honorarprofessor an der Londoner Kunsthochschule. Im Interview berichtet er, was er seinen Studenten vermitteln möchte und wie er sich im fünften Jahrzehnt seines Schaffens mit unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen beschäftigt – die alle ihre Wurzeln in der Fotografie haben.

fotoMAGAZIN: Sie haben die Fotografie an einem Samstagnachmittag im Jahr 1975 während Ihres Medizinstudiums für sich entdeckt. Warum ist die Kamera schließlich zu Ihrem bevorzugten Medium geworden?
Nick Knight: Die Fotografie ist für mich das Tor zu so vielen ganz verschiedenen Kunstformen. Sie liefert eine Plattform. Heute hat jeder eine Kamera. Grundsätzlich können wir alle ein ziemlich gutes Bild machen. Wenn man hingegen einen Marmorblock, Hammer und Meißel zur Verfügung hat, ist es komplizierter, daraus etwas zu erschaffen. Die Fotografie war etwas, das ich als Student aufgeschnappt habe. Jener Samstagnachmittag hat mein ganzes Leben verändert. Von diesem Moment an war ich wie besessen. Verliebt. Vollkommen verliebt. Meine Kamera ist mein Reisepass für alles im Leben geworden.

„Kunst ermöglicht Menschen das Gefühl, dass sie etwas über ihr Leben erzählen können.“

Nick Night

fotoMAGAZIN: Sie unterrichten heute nicht nur Fotografie, sondern praktizieren sie auch. Was ist die wichtigste Lektion, die Sie Ihren Studenten mitgeben möchten?
Nick Knight: Ich sage jedem: Lebe dein Leben durch deine Linse. Das ist ein eingängiger Spruch, der die Art und Weise spiegelt, wie ich mit der Fotografie gearbeitet habe. Ich hatte unglaubliches Glück, denn ich habe eine Zeit großer Veränderungen in der Bildgestaltung durchlebt. Mit einer Ausstellung wie der bei „Photo London“ wollte ich zeigen: So verändert sich die Fotografie, so erweitert sie sich. Sie nimmt es mit neuen Medien wie künstlicher Intelligenz, dem Metaverse und NFTs auf. All diese Dinge sind absolut gute und gültige Möglichkeiten, sich auszudrücken. Ich habe vor 45 Jahren mit einer alten Analogkamera angefangen und heute erschaffe ich digitale Statuen, ich mache Filme und arbeite an Performances. Die Fotografie hat sich wirklich für alles weitere geöffnet. Ich würde mich freuen, wenn Leute eine meiner Ausstellungen sehen und sich dafür begeistern können, sich selbst auszudrücken. Mehr kann man sich nicht wünschen. Das Medium sollte dabei nicht so wichtig sein. Kunst ermöglicht es, Menschen das Gefühl zu geben, dass sie etwas über ihr Leben erzählen können.

Blüten zerfließen

Florales Flow: „Rose VI“, 2012.

Foto: © Nick Knight

fotoMAGAZIN: Sie sind bekannt für Ihre Zusammenarbeit mit Modedesignern wie Alexander McQueen. Ein Großteil der bei „Photo London“ gezeigten Arbeiten sind jedoch ganz persönliche Projekte. Wie grenzen Sie das Berufliche von Ihrer persönlichen Praxis ab?
Nick Knight: Das kann ich nicht. Ich glaube, Studenten machen sich oft Gedanken über die Trennung von Beruflichem und Persönlichem. Da gibt es keinen Unterschied. Jede Arbeit ist persönlich, ob Sie dafür bezahlt werden oder nicht. Jedes Mal, wenn Sie eine Kamera in die Hand nehmen, sollte Ihnen das unglaublich wichtig sein. Es sollte nie einen Unterschied zwischen dem Persönlichen und dem Beruflichen geben. Niemand kann ein tolles Bild schaffen, wenn er nicht mit Leib und Seele bei der Sache ist. Ich mache keinen Unterschied, ob ich Kanye West oder eine Rose auf dem Küchentisch fotografiere. In jedes dieser Bilder stecke ich dieselbe Mühe, dieselbe Hingabe, Kraft und Dynamik. Das ist wichtig.

fotoMAGAZIN: Sie haben bei „Photo London“ eine Skulptur präsentiert, die auf der Silhouette einer Frau basiert und aus einer Fotografie und einem 3D-Scanner entstanden ist.  Wie ist es dazu gekommen?
Nick Knight: Ich arbeitete hier mit Michaela Stark zusammen, die ich für eine unglaublich interessante Künstlerin halte. Sie benutzt ihren Körper, um das Bild zu untergraben, das wir immer noch von Frauenkörpern haben. In der Mode werden fülligere oder kurvigere Menschen nicht gezeigt. Ich habe immer gedacht, dass dies in der Modewelt wichtig wäre, denn viele von uns sind einfach so gebaut. Oder wir lieben andere, fülligere Menschen, die einfach schön sind. Sehen Sie sich ein Gemälde von Peter Paul Rubens an: Dort werden diese Körperrundungen gefeiert. Ich finde es schade, dass wir in der Fotografie nicht mehr unterschiedliche Körpertypen gefeiert haben. Deshalb wollte ich eine Skulptur schaffen. Skulpturen erzählen uns von etwas Beständigem. Mode ist hingegen eine Sprache des Übergangs. Ich wollte hier eben kein vergängliches, modisches Erscheinungsbild produzieren. Ich wollte nicht sagen: Seht euch dieses neueste Ding an. Stattdessen wollte ich lieber ein Statement abgeben. Etwas das sich anfühlt, als wäre es für immer da – und damit sagen: Eigentlich sind doch alle Menschen schön.

Ballettaufführung

„Blade of Light“, fotografiert für Alexander McQueen, 2004.

Foto: © Nick Knight

fotoMAGAZIN: Sie haben kürzlich ein Projekt auf TikTok gestartet. Was genau steckt dahinter?
Nick Knight: Ich habe angefangen, kleine Vorträge auf TikTok zu halten, was manche vielleicht etwas skeptisch betrachten werden. Für mich ist es jedoch wirklich wichtig, das jüngere Publikum anzusprechen. Also erzähle ich die Geschichte der Fotografie auf TikTok. Das sind dreiminütige Clips, in denen ich über Fotografie und bestimmte Themen spreche. In einer Woche geht es beispielsweise um die Geschichte der großen Zeitschriften wie „Life“, in der nächsten um die Bedeutung von Bescheidenheit in der Fotografie.

fotoMAGAZIN: Haben Sie für uns einen konkreten Tipp: Wie wird man ein besserer Fotograf?
Nick Knight: Ich könnte Ihnen ein paar Dinge dazu sagen, doch ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie das geht. In gewisser Weise versteht niemand wirklich, wie man das macht. Es ist sehr schwer zu erklären. Wenn ich ein Marathonläufer oder ein Schauspieler wäre, müsste ich mich anders ernähren beziehungsweise Wege finden, mich mehr mit meiner Rolle zu beschäftigen. Doch was könnte ein Ratschlag für einen Fotografen sein? Genauer hinschauen? Letztendlich geht es zumindest mir um die Wahrnehmung. Es geht nicht darum, was wir sehen, sondern was wir fühlen. Es geht um Emotionen. Sie fragen sich, wie Sie mehr mit Ihrer Intuition arbeiten können. Die meisten Fotos beschäftigen sich bis zu einem gewissen Grad mit der Zukunft. Es geht nicht wirklich um die Dinge, die wir in diesem Moment sehen.

Henri Cartier-Bresson wird die Idee des „entscheidenden Augenblicks“ zugeschrieben. Dem stimme ich nicht zu. Es gibt nicht wirklich diesen entscheidenden Moment. Bei der Fotografie geht es um die Freude, die dabei entsteht wenn man sich etwas ausmalt, das gleich geschehen wird. Wir können keine Sekundenbruchteile sehen. Ganz oft geht es darum, etwas wirklich zu wollen, Energie in etwas zu investieren, damit es auch passiert. Fotografie ist keine Wissenschaft. Mit ihr schaffen wir Erinnerungen.

Vom "Master of Photography":

 

 

Das Gespräch wurde während der Fotokunstmesse „Photo London“ im Mai 2022 von Tom Seymour aufgezeichnet.

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