Ein Foto bietet Interpretationsspielraum

Hochzeiten, Webseiten, Social Media, Marketing: Fotos werden zunehmend durch Videos ersetzt. Leider, denn Fotos bieten viele Vorteile!

Sebastian Sonntag

Sebastian Sonntag

Freier Journalist und Fotograf

Sebastian Sonntag Kolumne

Kolumne: „Immer wieder Sonntag“ von Sebastian Sonntag

Illustratinon: Getty Images

Viele sehen bei Videos einen branchenübergreifenden Trend und selbst sehr gute Fotografen in meinem Freundeskreis verdienen mittlerweile mit Video-Aufnahmen mehr als mit der Fotografie.

Was mich an dieser ganzen Social-Media- und kommerziell orientierten Sichtweise stört, ist, dass permanent nur über die Vorteile von Videos – aber nie die der Fotografie gesprochen wird.

 

Der Münchner Sebastian Sonntag ist sowohl freier Journalist, als auch Fotograf.

Ein Foto kann man in Ruhe auf sich wirken lassen

Für mich ist ein Foto durch ein Video nicht zu ersetzen! Ich ziehe als Beispiel dafür gerne die Fernsehwerbung heran. Vor Jahren gab es einen Waschmittel-Spot, fast komplett in weiß gehalten – ein Schwan im Schnee oder etwas ähnliches – mit ruhiger Musik, nahezu ohne gesprochenen Text. Dieser Spot war damit ein extremer Gegensatz zu dem üblichen eingespieltem Fußball-Gejubel, den Geiz-ist-Geil-Schreiern, hektischen Kameraschnitten und anderer lauter Werbung. Eine ruhige Insel im Meer von Lärm. So verhält es sich für mich mit einem Foto auch.

„Details können ganz anders wirken, wenn man sich
in Ruhe mit einem Bild beschäftigt.“

Sebastian Sonntag

Ein Foto ist eine Momentaufnahme, die man in Ruhe auf sich wirken lassen kann. Ohne Bewegung, ohne Geräusch, möglicherweise sogar ohne Farbe. Eine Momentaufnahme, die auch Interpretationsspielraum lässt. Was geschah vorher, was passiert anschließend? In welchem Zusammenhang entstand das Bild? Details können ganz anders wirken, wenn man sich in Ruhe mit einem Bild beschäftigt.

Natürlich, auch das Bewegtbild eignet sich für tiefgehende Eindrücke, allerdings müssen dann alle genannten Ebenen – Bild, Bewegung und Geräusch – perfekt aufeinander abgestimmt sein. Passt die Balance nicht, wirkt das Ganze unauthentisch oder überfordert den Zuschauer. Man denke an die typische Musik und Kameraführung bei unheimlichen Szenen in einem Spielfilm. Wie viel mehr Freiraum und Fantasie würde im Kopf des Betrachters entstehen, gäbe es davon nur ein Foto. Diese Sichtweise täte auch einigen Marketing-Fachleuten und Hochzeitspaaren gut.

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