Platon

Nur Angela Merkel weigerte sich. Warum eigentlich? fotoMAGAZIN fragte bei Platons Vernissage im Wiener Fotomuseum WestLicht nach.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Ausstellung bei WestLicht

Ausstellung im Wiener Fotomuseum WestLicht

© WestLicht

fotoMAGAZIN: Lassen Sie uns über Macht sprechen. Sie haben Dutzende Staatslenker portraitiert. Gab es bei diesen Politikern vergleichbare Charakterzüge?
Platon: Ich habe mich selbst gefragt: Was habe ich aus diesem Projekt gelernt? Ich habe 130 Staatoberhäupter getroffen, die mächtigsten Menschen der Erde. Dabei habe ich die naive Vorstellung entwickelt, dass diese Menschen Staatsdiener sind.

Theoretisch müssen sie unserem Wohlergehen dienen, hat das Volk die Macht, aber oft ist es so, dass das Volk den Staatoberhäuptern dient. Wir leben in einer Zeit großer Umwälzungen und ich denke, das Volk ist jetzt an einem Punkt angelangt, an dem es dieses Gefühl ändern möchte. Wir erleben aus den unterschiedlichsten Gründen Revolutionen.

fM: Bei dem Konzept der Macht geht es um Kontrolle. Sind diese Machtmenschen auch bei Ihnen Kontrollfreaks?
Platon: Manche sind es. Für mich war es interessant zu sehen, dass die Portraitsession ein Moment in deren Leben war, den sie nicht kontrollieren konnten.

fM: Sie könnten die Persönlichkeit interpretieren, Sie könnten diese Menschen aber auch so zeigen, wie diese es am liebsten möchten. Worauf sind Sie aus?
Platon: Mein Job wäre fürchterlich, wenn ich die Fotografie verwendete, um jemand bewusst in einem politischen Licht zu zeigen, sei es positiv oder negativ. Ich möchte die Macht menschlich machen.

Wir werden alle ständig mit Bildern der Macht bombardiert, die Propaganda sind. Ich hatte das Gefühl, dass es Zeit wird, die Menschen hinter unseren Staatslenkern zu suchen. Du kannst nie die ganze Geschichte in einer fünfhundertstel Sekunde erzählen, aber Du kannst einen wahren Augenblick zeigen und manchmal ein Gefühl rüberbringen, wie diese Menschen wirklich sind.

fM: Wie oft zeigen Ihnen diese Menschen ein öffentliches Gesicht, eine Fassade für die Kamera.
Platon: Die haben alle Fassaden für die Öffentlichkeit. Ich hatte immer ein gesundes Misstrauen gegenüber der Macht und hätte nie gedacht, dass dies eine Berufsqualifikation sein könnte, aber es ist eine geworden. Ich behandle die Politiker mit Respekt, doch es bleibt immer ein ehrlicher Moment zwischen mir und ihnen.

fM: Wie könnten sie diese Fassaden überwinden?
Platon: Wenn es einen Trick gäbe, wäre die Sache viel einfacher. In Wahrheit ist jeder Mensch anders. Ich muss meine Persönlichkeit und meine Menschenkenntnis einsetzen, um herauszufinden, wie ich so schnell wie möglich unter schwierigsten Umständen eine Beziehung aufbaue.

Um mich herum stehen immer 30 Leute, manchmal sogar über hundert, die rufen, an meinem Arm zerren und mir erklären, meine Zeit sei abgelaufen. Es ist verrückt. So habe ich gelernt, eine Schutzmauer aufzubauen und zugleich eine sensible Wahrnehmung zu bewahren.

An einem gewissen Punkt hast du nichts als dein Selbstvertrauen. Die wollen mich kontrollieren.“

fM: Wann entscheiden Sie, nah an jemand ranzurücken und wann bleiben sie auf Distanz: Wie gehen Sie vor?
Platon: Das ist alles komplett intuitiv und überhaupt nicht intellektuell. Bei jemand wie Putin geht es um die Atmosphäre, das Gefühl und die Aura der Macht. Hier ist alles viel subtiler und ruhiger. Und dann ist da noch dieses Eisblau seiner Augen: Du musst mit Farbe arbeiten, um das rüberzubringen.

Bei Gaddafi entschied ich mich, ein wenig zurückzutreten. Er hatte das schlechteste Timing aller Zeiten. Unser Treffen war Backstage bei den Vereinten Nationen und ich wartete gerade darauf, Obama zu portraitieren, der dort seine Rede hielt.

Die Entourage des Weißen Hauses war bereits bei mir. Hillary Clinton war da, die Spürhunde, der Geheimdienst, die Notärzte und der Mann mit dem Geheimcode im Koffer. Alle auf engstem Raum. Und plötzlich kam diese Menschenmenge auf uns zu: etwa 150 Mitglieder der libyschen Delegation.

Gaddafi war von uniformierten weiblichen Bodyguards umgeben, die wie in Zeitlupe marschierten. Die Typen aus dem Weißen Haus flippten aus wegen all der Sicherheitsprobleme. Gaddafi kam zu mir und sagte mit dieser herausfordernden Geste, er würde jetzt für sein erstes Portrait auf amerikanischen Boden posen, aber vor den Leuten des Weißen Hauses. Sie sehen in meinem Bild zwar nicht die Leute vom Weißen Haus, aber sie bekommen seine Unnachgiebigkeit mit.

Barack Obama

Wladimir Putin

© Platon

fM: War Ihr Putin-Portrait der Türöffner für Ihre anderen Politikerportraits?
Platon: Die Session mit Putin war sicher ein großer Moment in meiner Karriere, die Meisterprüfung. Es gibt diese Universität der Macht, wie mir mittlerweile bewusst geworden ist. An dem Tag, als ich mein Putin-Foto hatte, habe ich dort meine Abschlussprüfung abgelegt. Dieses Bild hat mich in eine andere Welt eingeführt.

fM: Muss man als Fotograf viel Selbstvertrauen zu diesen Leuten mitbringen?
Platon: Oh ja. An einem bestimmten Punkt hast Du nichts als Dein Selbstvertrauen, wenn man Dich prügelt. Sie erwähnten, dass Macht Kontrolle bedeute. Die versuchen, mich als Fotograf zu kontrollieren, mich autoritär im Griff zu halten.

Die Fotografie macht etwas mit den Menschen: sie multipliziert alle ihre Emotionen.“

fM: Haben Sie mal versucht, Angela Merkel zu portraitieren?
Platon: Sie war bei jener UN-Sitzung mitten im Wahlkampf und konnte nicht kommen. Ich habe angefragt, als wir beide beim Wirtschaftsgipfel in Davos waren. Merkel hat abgelehnt. Jemand meinte, dass sie sich nur für deutsche Medien portraitieren lasse, aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

fM: Ich habe das Gefühl, dass bei all Ihren Politikerportraits Berlusconi am meisten geschauspielert hat.
Platon: Berlusconi war einer der Interessantesten. Alle anderen begrüßten mich steif, mit einem formalen Handschlag. Berlusconi tauchte aus dem Nichts auf, schlich sich seitwärts rein, nahm auf dem Stuhl Platz und gab mir einen wissenden Hollywood-Glamourlook. Dann verschwand er auf der anderen Seite wieder aus dem Bild.

Er war elegant wie Fred Astaire, wenn dieser über eine Art-Deco-Bühne schwebte. Damals dachte ich, dass es kaum möglich war, in solch kurzer Zeit etwas von ihm einzufangen und dennoch ist es eines der Bilder, auf die die Menschen am stärksten reagieren.

Ironischerweise versammelten sich an dem Tag, bevor er zurückgetreten ist, tausende seiner Gegner in Rom, hielten mein TIME-Cover hoch und forderten seine Demission. Meine Fotos werden manchmal dazu verwendet, diese Leute zu stürzen, die ich portraitiert habe. Ich begrüße das, denn sie werden in den gesellschaftlichen Diskurs aufgenommen.

Barack Obama

© Platon

fM: Hatten Sie je das Verlangen, die schlechten Seiten einer Person in einem Portrait zu zeigen?
Platon: Ich glaube, es wäre sehr gefährlich mit einer festen Idee reinzugehen. Du solltest mit einer sehr neutralen emotionalen Einstellung reingehen. Es ist nicht mein Job, jemanden zu beurteilen. Meine Aufgabe ist es, den Charakter eines Menschen einzufangen: seine Taten und sein Erbe ist das, was die Leute dazu bringt, ein Bild zu beurteilen. Wenn ich etwas anderes machen würde, wäre das auch Propaganda.

fM: Bewegen Sie sich nicht immer am Rande der Propaganda, da Sie nie wissen, wie ein Bild später eingesetzt wird?
Platon: Jeder Artikel, jedes Bild kann so oder so verwendet werden. Mein Putin-Portrait haben in Russland viele mit dem Kommentar kritisiert, ich hätte ihm Glamour gegeben.

Doch gleichzeitig kritisierten Putin-Anhänger, ich hätte ihn wie ein Relikt des Kalten Krieges aussehen lassen. Es ist dasselbe Bild! Alles, was sich ändert ist die Wahrnehmung bei den Menschen und die Tatsache, dass Menschen es unterschiedlich lesen.

fM: Haben Sie eine Portrait-Philosophie?
Platon: Ich bin nicht wirklich ein Fotograf und auch nicht wirklich ein Portraitist. Ich bin ein Geschichtenerzähler, der die Fotografie als Werkzeug verwendet. Letztlich ist es meine Rolle in der Gesellschaft, Geschichten zu erzählen und damit dazu beizutragen, dass die Menschen anders über gewisse Dinge denken.

Factfile: Platon (Platon Antoniou)

Platon wurde am 28. April 1968 als Kind britisch-griechischer Eltern in London geboren. Er studierte an der St. Martin´s School of Art und dem Royal College of Art Grafikdesign, Fotografie & Kunst und arbeitete anschließend für die britische Vogue.

2007 hat Platon für sein Putin-Portrait einen World Press Photo Award erhalten. 2008 wurde er Nachfolger von Richard Avedon als Redaktionsfotograf des New Yorker. Das Wiener Fotomuseum WestLicht zeigte bis zum 24. April 2012 seine Ausstellung Gesichter der Macht. Im Verlag Schirmer/Mosel ist sein Band Power Platon (34 Euro) erschienen.

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