Ernesto Valverde (61), Trainer von Atletic Bilbao, während des Champion-League-Spiels seiner Mannschaft in Newcastle am 5. November 2025.
© IMAGO/ShutterstockDer November 2025 hätte für die Fußballer von Atletic Bilbao wahrlich schöner beginnen können. Zuerst ging das Derby bei Real Sociedad San Sebastian 2:3 verloren. Anschließend verließ die Mannschaft von Trainer Ernesto Valverde unter der Woche auch in der Champions League bei Newcastle United den Platz als Verlierer. Niederlagen machen etwas mit den Menschen – mit den Spielern und Offiziellen des Vereins und den Fans. In San Sebastian und in Newcastle wird Ernesto Valverde diese Emotionen wieder im Bild festgehalten haben. Wie er es so oft tut – vornehmlich von seinem Platz vorne im Mannschaftsbus. Denn der 61-Jährige ist Fußballtrainer und Fotograf in Personalunion.
Seit den 1980er-Jahren ist Ernesto Valverde mit der Kamera unterwegs – von Bilbao bis Tokio, von Stadionfluren bis zu stillen Hotelzimmern. Was als Nebenbeschäftigung begann, ist längst ein fester Bestandteil seines Lebens geworden. Wenn andere Trainer nach Spielen Statistiken studieren, greift Valverde zur Kamera. Er beobachtet, wartet, komponiert. Er sucht nicht nach dem perfekten Motiv, sondern nach dem echten Moment. Seine Schwarzweiß-Aufnahmen erzählen von Bewegung und Ruhe zugleich – von der Unruhe des Reisens und der Stille dazwischen. Der Fußball ist sein Beruf, doch die Fotografie bezeichnet er als seine zweite Sprache.
Bedrohlich: Polizisten halten Fußballfans entlang der Strecke zum Stadio Zosimades in Ioannina zurück. Wasser – Regen oder Wasserwerfer? – benetzt die Windschutzscheibe des Mannschaftsbusses von Olympiakos Piräus, als Ernesto Valverde am 18. April 2012 auf den Auslöser drückt.
© Ernesto ValverdeErnesto Valverde – die Karriere auf und neben dem Platz
Valverde wurde 1964 in Viandar de la Vera in der spanischen Provinz Cáceres geboren und wuchs im Baskenland auf. Seine aktive Laufbahn als Fußballprofi begann in den frühen 1980er-Jahren. Er spielte unter anderem für Espanyol Barcelona, den FC Barcelona und Athletic Bilbao. Über 250 Spiele bestritt Valverde in der höchsten spanischen Liga und war Teil des Barca-Teams, das 1989 den Europapokal der Pokalsieger gewann. Nach dem Karriereende als Spieler 1997 begann Valverde seine Trainerlaufbahn im Nachwuchs von Athletic Bilbao. Nach Stationen im In- und Ausland betreut er inzwischen schon zum dritten Mal die Profi-Mannschaft von Athletic.
Valverde ist bekannt für seine taktische Präzision – weniger bekannt ist seine künstlerische Ader. Seit Jahrzehnten hält er mit der Kamera fest, was andere übersehen: Momente der Einsamkeit, die Euphorie der Fans, das Vergehen der Zeit. Seine zweite Leidenschaft führt ihn von der Kargheit und Tristesse stiller Hotelzimmer in die überbordende Energie der aufgeladenen Momente vor den Stadien – ein Spannungsfeld zwischen Einsamkeit und kollektiver Ekstase.
Frühe Leidenschaft und fotografische Ausbildung
Schon als Jugendlicher fotografierte Ernesto Valverde mit der alten Olympus Pen der Familie. Seine erste Profiprämie investierte er nicht in ein Auto, sondern in eine Kamera. Wie er 2021 im Interview mit El País erzählte: „Mit meinem ersten Gehalt bei Alavés habe ich mir eine Kamera gekauft. Ich wollte eine Nikon, aber am Ende wurde es eine Canon AE-1 Program.“ Ende der 1980er-Jahre, während seiner Zeit als Spieler in Barcelona, studierte er am renommierten Institut d’Estudis Fotogràfics de Catalunya. Noch während seiner aktiven Spielerzeit veröffentlichte er erste Fotos in großen Tageszeitungen.
Die Canon AE-1 Program – die erste Kamera, die sich Ernesto Valverde selbst kaufte. Die 1981 erschienene 35mm-Kleinbild-Spiegelreflex gilt als Klassiker der analogen Fotografie.
© Freilichtmuseum Roscheider Hof & Thomas Naethe, CC0Bevor er digital fotografierte, verbrachte Valverde viel Zeit im Rotlicht der Dunkelkammer und sah, wie seine Bilder im Entwicklerbad auftauchten – ein Moment, den er bis heute als magisch beschreibt. Diese frühe Erfahrung prägte seinen Respekt vor dem Prozess und die Freude am Entstehen eines Bildes.
Schwarzweiß, still und eigenwillig – Ernesto Valverdes Stil
Valverde fotografiert fast ausschließlich in Schwarzweiß. Seine Motive wirken oft melancholisch, zeigen Einsamkeit, Flüchtigkeit und Momente des Übergangs: leere Stadiontribünen, Fans im Taumel, Menschen in Bewegung. Dabei verzichtet er bewusst auf vordergründige Schönheit – seine Bilder sollen unbequem sein, Fragen aufwerfen. „Ich mag Fotos, die Fragen stellen, nicht solche, die Antworten geben“, sagt Valverde. Inspiration holt er sich bei Größen wie Daidō Moriyama, Anders Petersen, Alberto García-Alix und Ricky Dávila.
Fußball und Fotografie – zwei Welten, ein Blick
Ernesto Valverde gewinnt mit dem FC Barcelona 2017/18 die Meisterschaft und den spanischen Pokal. Entsprechend ekstatisch fallen die Reaktionen der Barca-Fans aus.
© Ernesto ValverdeSeine Karriere als Fußballtrainer beeinflusst seine Fotografie – und umgekehrt. Als Coach hat Valverde Zugang zu Perspektiven, die anderen verwehrt bleiben: etwa der Blick aus dem Mannschaftsbus auf jubelnde Fans. Diese Aufnahmen spiegeln eine intensive Nähe und zugleich Distanz. Fotografie lehrt ihn, den Blick zu schärfen und Schicht um Schicht abzutragen, bis nur das Wesentliche bleibt – ein Prinzip, das auch in seiner taktischen Arbeit wiederkehrt.
Ein zentrales Projekt seiner Arbeit ist die Serie „Beste Aldea“ (baskisch für: Die andere Seite). Über mehr als zehn Jahre dokumentierte er Fans der Vereine, die er trainierte – von Bilbao bis Athen, von Barcelona bis Tokio. Die Bilder zeigen Momente der Ekstase, gespiegelt durch das Busfenster, und erzählen vom emotionalen Spannungsfeld zwischen Trainerbank und Tribüne.
Ausstellungen und Fotobücher
2012 zeigte Valverde seine Arbeiten erstmals in größerem Rahmen in Athen. Die Ausstellung „Medio Tiempo“ und das gleichnamige Buch versammelten Aufnahmen aus Hotelzimmern, Trainingslagern und Stadien weltweit. 2021 folgte „Frontera“ – eine fotografische Reflexion über Grenzzustände, Fremdheit und das Nomadentum des Profifußballs. Der Titel steht sinnbildlich für Valverdes Leben zwischen zwei Welten: dem Spielfeld und der Außenwelt, Nähe und Distanz, Beruf und Beobachtung.
2012 erschien in Spanien bei La Fabrica Ernesto Valverdes erstes Fotobuch „Medio Tiempo“ mit Schwarzweiß-Aufnahmen, die den Fußball nicht auf dem Platz, sondern im Leben rundherum zeigen.
© La FabricaDie Wanderausstellung „Beste Aldea – El otro lado“ wurde 2021 gemeinsam von Real Sociedad und Athletic Bilbao präsentiert. Gezeigt wurden großformatige Schwarzweiß-Fotografien, die Fans und Atmosphäre im Fußballumfeld würdigten – oft festgehalten aus der Perspektive des Ankommenden, nie des Stars.
Ernesto Valverde fotografiert das Chaos mit Zärtlichkeit
Kritiker und Kollegen reagierten mit Respekt und Begeisterung. Der spanische Schriftsteller und Filmregisseur David Trueba, der Valverdes Ausstellung „Beste Aldea – El otro lado“ 2021 in San Sebastián eröffnete, lobte Valverdes „transparente, unverfälschte Sicht“ auf die Menschen. In einem Essay für El País schrieb Trueba: „Er fotografiert das Chaos, aber mit Zärtlichkeit – nie als Spektakel, immer als Spiegel.“ Der Sportjournalist Santiago Segurola hob zudem die „außergewöhnliche Sensibilität“ seiner Bilder hervor. Selbst internationale Medien wie The Guardian würdigten die poetische Kraft seiner Fotografien.
Im Juli 2019 absolvierte Ernesto Valverde als Trainer des FC Barcelona eine Promotion-Tour in Japan. Bei einem Meeting mit jungen Fans hatten die Sicherheitskräfte größte Mühe, sich dem Ansturm der meist jugendlichen Fans entgegenzustemmen, was Valverde mit der Kamera dokumentierte.
© Ernesto ValverdeEin Foto wie ein Sieg – Valverdes Blick auf die Kunst
Für Valverde ist Fotografie mehr als ein Ausgleich: „Ein gutes Foto bleibt wie ein großer Sieg im Gedächtnis“, sagte er 2024 in einem Interview mit dem Magazin 11Freunde (Ausgabe #277). Er vergleicht beides – Fußball und Fotografie – mit dem Streben nach dem perfekten Moment, dem Festhalten des Unwiederbringlichen. Gleichzeitig ist das Fotografieren für ihn ein Ventil, eine Art geistiger Ausgleich zum Hochdruck des Profifußballs. „Fotografie ist für mich kein Hobby, sondern etwas sehr Ernstes in meinem Leben“, sagt er.
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