Das Fotostudio von nebenan

Jahrzehntelang hat das klassische Porträtstudio Deutschlands Innenstädte geprägt. Wie sieht die Situation in Zeiten von Fotostudio-Ketten und der Konkurrenz von Amateurfotografen aus? Ein Besuch bei Björn Marquart im bayerischen Tutzing.

Sebastian Sonntag

Sebastian Sonntag

Freier Journalist und Fotograf

Fotostudio Marquart

Björn Marquarts Fotostudio im Tutzinger Ortskern am Starnberger See existiert bereits seit 30 Jahren.

Foto: © Sebastian Sonntag

Ein Hausbesuch im klassischen Fotostudio:

"Nah am Markt“. Diesen Ausdruck hört man immer wieder bei Björn Marquart, wenn er von der Zukunft des klassischen Porträtstudios spricht. Marquart, lange graue Locken, groß gewachsen, schlank, in schwarzem Pulli, schwarzer Hose und Lederschuhen, kennt sich aus. Seit 30 Jahren betreibt er in Tutzing am Starnberger See mittlerweile sein Fotostudio, gemeinsam mit seiner Mutter, die ihn damals bereits während seiner Ausbildung in den Betrieb einband.

Björn Marquart in seinem Studio

Fotograf und Studiobesitzer Björn Marquart kennt das Business bereits seit über 30 Jahren.

Foto: © Sebastian Sonntag

Bis heute spürt man die Leidenschaft, die Marquart für die Fotografie mitbringt, selbst wenn er jetzt sagt: „Wer sein Hobby zum Beruf macht, verliert ein Hobby.“

Nah am Markt also. Was Marquart damit meint, wird schnell klar. Ein Fotograf muss stets auf der Höhe der Zeit bleiben, Trends erkennen, Umsatzmöglichkeiten erschließen. Denn die Branche verändert sich. Neben der Corona-Situation sind es vor allem zwei Aspekte, die ausgebildeten Fotografen mit professionellem Studio das Leben schwer machen: Der Wegfall des „Fotografenmeisters“ und die Digitalfotografie.

Ambitionierte Amateure bieten heute Foto-Dienstleistungen zum Spottpreis an und machen hauptberuflichen Kollegen das Leben schwer. Marquart ist das ein Dorn im Auge – und ein echtes Problem. Wer Miete, Essen und Studio mit seiner Fotografie finanziert, der muss andere Preise verlangen als ein Angestellter, der nebenbei am Wochenende Hochzeiten ablichtet. Gerade im Bereich Hochzeit ist es deshalb bei Marquart in den letzten Jahren ruhiger geworden, insbesondere in der Corona-Zeit. Den Wegfall des Fotografenmeisters sieht er dennoch positiv: So hätten viele talentierte Quereinsteiger die Chance bekommen, sich einen Namen zu machen, und zahlreiche kreative Ansätze wären dadurch erst möglich geworden.

Babybäuche und Nacktaufnahmen

Doch wie haben sich die Einnahmequellen und Kundenanfragen eines Studiofotografen – abgesehen von den Hochzeiten, die nach wie vor ein guter Umsatzbringer sind – über die Jahre verändert? Marquart erinnert sich: „Früher kamen Familien, Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich für besondere Anlässe zum Fotografen ins Studio. Schulanfang, Schulabschluss, Konfirmation, Kommunion. Das ist heute nicht mehr so. Der Trend geht ganz klar nach draußen und zu Aufnahmen vor Ort.“ Wobei zumindest beim Tutzinger Fotografen Familienfotos im Studio zu Weihnachten nach wie vor gut funktionieren. Kindergarten? Schwierig. Studioähnliche Aufnahmen mit improvisiertem Hintergrund vor Ort wirken oft künstlich, reportageartige, natürliche Porträts sind zeitintensiv. Nicht jedes Ehepaar ist bereit, dafür angemessen zu bezahlen.

„Familien- und Kinderfotos sind auch heute noch gefragt.“

Björn Marquart, Studiofotograf

Ebenfalls etwas aus der Zeit gefallen sind mittlerweile Aktaufnahmen als Geschenk für den Freund oder den Mann. Heutzutage greifen die Damen für Fotos lieber zum Smartphone. Wobei sich Marquart für derlei Bilder mittlerweile auch zu alt fühlt und sie nicht mehr aktiv bewirbt.

Gruppenfoto im Studio

Platz für ein Gruppenbild gibt es in Marquarts Studio. Finanziell rechnet sich die Größe des Studios nach Ansicht des Fotografen kaum noch, dennoch bietet es Vorteile für Gruppenfotos, von Familien wie von Unternehmen.

Foto: © Björn Marquart

Großfamilien hat er noch hin und wieder in seinem Studio, auch Babys und Haustiere. Zwei Trends, die schon länger bestehen, aber tendenziell eher zunehmen. „Neugeborenen-Fotografie gab es früher bei uns so nicht, das kam erst mit den Bildern von Anne Geddes bei uns auf.“ Übrigens nicht der einzige Trend, der aus dem Ausland nach Deutschland schwappte.

„Früher bestanden Hochzeitsaufnahmen aus einem einzelnen Studiobild für die Großeltern, später aus ein paar Brautpaar-Fotos nach der Trauung, fürs Album“, weiß Björn Marquart zu erzählen. Bis er in den Niederlanden Fotografen kennenlernte, die Hochzeiten von morgens bis abends begleiteten. Analog. Mit Mittelformat. Eine schweißtreibende Arbeit, die den deutschen Fotografen zunächst ein Runzeln auf die Stirn trieb – bis sie die Ergebnisse sahen. Mittlerweile sind Hochzeitsreportagen Standard und im Digitalzeitalter etwas einfacher zu handlen, zumindest mit zwei Fotografen vor Ort.

Hochzeitspaar auf Steg am Meer

Preiskampf: Nebenberufliche Fotografen und Amateure, die am Wochenende Hochzeiten zum Schleuderpreis ablichten, sind heute nach Marquarts Ansicht das größte Problem hauptberuflicher Fotografen.

Foto: © Björn Marquart

Der Trend geht zum Businesskunden

Im Vordergrund steht für Marquart und seine Kollegen, mit denen er sich regelmäßig austauscht, mittlerweile jedoch ein ganz anderer Kundenstamm: Unternehmen. Das macht gerade in der aktuellen Zeit absolut Sinn.

Behandlungszimmer beim Zahnarzt

Business ist das neue Business. Mit der größte Umsatzbringer klassischer Fotografenstudios sind mittlerweile Geschäftskunden; angefangen bei reproduzierbaren Mitarbeiterporträts bis zu Interior-Shots und Image-Aufnahmen.

Foto: © Björn Marquart

Unternehmer legen Wert auf professionelle Fotos – jedoch unter Zeitdruck, häufig unter der Woche. Eine Kombination, die Hobby-Hochzeitsfotografen so nicht liefern können. Zudem sind für Business-Kunden replizierbare Porträtaufnahmen im Studio relevant – so kann jeder neue Mitarbeiter unter identischen Bedingungen abgelichtet werden. Aber auch Image- und Gebäude-Aufnahmen vor Ort geben Business-Kunden gerne in Auftrag.

„Es gibt eine Sache, der ich hinterhertrauere: meinem Schaukasten im Bahnhof Starnberg.“

Björn Marquart, Studiofotograf

Ein weiterer Vorteil für alteingesessene Fotografen ist hier die große Bekanntheit. Wer als Geschäftskunde einen Fotografen sucht, orientiert sich meist weder an Google noch an Zeitungsinseraten, sondern richtet sich nach Empfehlungen. Und landet so am Ende oft beim örtlichen Fotostudio – sofern die Qualität stimmt.

Wie wichtig ist das Marketing?

Bei Marquart stimmt das Marketing offensichtlich. Der Aufwand an Werbemaßnahmen hat heute bei ihm eher ab- denn zugenommen. Google Ads? Lohnt sich nicht. Zeitungsinserate? Nur noch vereinzelt. „Es gibt eine Sache, der ich hinterhertrauere: meinem Schaukasten im Bahnhof Starnberg. Ich konnte förmlich zusehen, wie der mir Kunden brachte“, sagt Marquart. Clevere Analogwerbung zieht immer noch.

Das neue große Ding allerdings sind Social Media. Und das ist gar nichts für Marquart, Vater einer zwölfjährigen Tochter. Er hält das Bespielen der Social Media für vertane Lebenszeit und verzichtet deshalb auf einen aktiven Instagram-Account. Wenngleich er sicher ist, dass dieser hilfreich wäre. Seine Kollegen jedenfalls setzen voll auf Social Media und bringen dafür viel Zeit auf, um alle Kanäle aktuell und für Kunden interessant zu halten.

Marquart kann nach 30 Jahren Fotostudio in Tutzing darauf zum Glück verzichten. Er zehrt von seinen Stammkunden und Empfehlungen. Selbst wenn er in Sachen Marketing damit nicht ganz so nah am Markt ist.

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