70 Jahre World Press Photo: Ausstellung hinterfragt visuelle Muster
Zum 70-jährigen Bestehen zeigt World Press Photo eine Ausstellung, die den eigenen Bildarchiven kritisch begegnet. In „What Have We Done?“ stehen nicht nur Ikonen der Fotogeschichte im Fokus, sondern auch die Macht visueller Muster.
Die Ausstellung „What have we done?“ anlässlich 70 Jahre World Press Photo regt dazu an, sich kritisch mit Stereotypen im Fotojournalismus auseinanderzusetzen.
Mit der Ausstellung „What Have We Done?“ feiert World Press Photo (WPP) 2025 sein 70-jähriges Bestehen. Die Schau lädt dazu ein, die eigene Bildwahrnehmung zu hinterfragen – und mit vertrauten Erzählmustern zu brechen.
Ausstellungen zum Jubiläum in Johannesburg und Amsterdam
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens zeigt die WPP Foundation im Herbst 2025 eine große Ausstellung mit dem Titel „What Have We Done? Unpacking Seven Decades of World Press Photo“. Kuratiert wurde sie von der Fotografin und Künstlerin Cristina de Middel, die mit der Präsentation nicht nur Rückblick hält, sondern auch neue Perspektiven eröffnet. Die Schau wird vom 20. September bis 19. Oktober 2025 am Market Photo Workshop in Johannesburg, Südafrika zu sehen sein, außerdem in den Niederlanden.
Parallel zur Ausstellung findet ein öffentliches Rahmenprogramm statt, das gemeinsam mit dem südafrikanischen Partnerinstitut entwickelt wurde. In einem zweitägigen Festival am 20. und 24. September diskutieren Fotografinnen, Künstlerinnen und Theoretiker*innen über die Wirkung visueller Narrative. Mit dabei sind unter anderem Zanele Muholi, Jodi Bieber, Neo Ntsoma und Angelo Fick.
Was erzählen uns 70 Jahre World Press Photo?
Im Zentrum der Ausstellung stehen über 100 Fotografien aus sieben Jahrzehnten – von bekannten Namen wie Don McCullin, Horst Faas, Steve McCurry, Eddie Adams bis hin zu aktuellen Positionen wie Johanna Maria Fritz oder Sara Naomi Lewkowicz. Die Ausstellung will dabei nicht nur die Geschichte des Bildjournalismus feiern, sondern auch zur kritischen Reflexion anregen.
Denn: Die Auswahl preisgekrönter Bilder folgt oft wiederkehrenden Mustern. Die Kuratorin fragt, warum sich diese Bildtypen so hartnäckig halten – und was das über unsere Wahrnehmung der Welt aussagt.
Wiederkehrende Bildmuster unter der Lupe
Die Ausstellung ist in sechs thematische Bereiche gegliedert, die sich mit typischen visuellen Stereotypen im Fotojournalismus befassen:
Weinende Frauen und rettende Männer: Frauen erscheinen häufig als Opfer, Männer als Helden – ein klassisches Rollenbild, das sich durch viele Jahrzehnte zieht.
Emotionale Soldaten und ästhetisierte Zerstörung: Weiße Soldaten werden als nachdenklich gezeigt, nicht-weiße als kämpfend. Gleichzeitig wird Kriegszerstörung oft visuell überhöht.
Geschlecht als visuelle Kategorie: Männer agieren, Frauen reagieren – selbst erfolgreiche Frauen werden in der Bildsprache oft auf ihre Rolle als emotionale Figur reduziert.
Afrika als Projektionsfläche: Die Darstellung des Kontinents folgt häufig einem kolonialen Blick – zwischen exotischer Fremdheit, Gewalt und Mangel an Differenzierung.
Schönheit im Chaos: Fotograf*innen suchen den „Wow-Moment“ – doch ästhetische Kompositionen können menschliches Leid ästhetisieren und verfälschen.
Feuer und Rauch: Kaum ein Symbol steht so oft für Krisen und Umbruch wie Rauch. Bilder mit Flammen erzeugen sofort Dramatik – aber sie prägen auch ein einseitiges Krisenbild.
Beispiele für die visuellen Stereotypen im Fotojournalismus in den zurückliegenden 70 Jahren von World Press Photo zeigt unsere Bildergalerie.
World Press Photo 1964 – Ghaziveram, Zypern. Eine türkische Frau trauert um ihren toten Ehemann, ein Opfer des Bürgerkriegs auf Zypern zwischen griechischen und türkischen Zyprioten.
Ein Bewohner von al‑Zahra geht durch die Trümmer zerstörter Wohnhäuser im Süden von Gaza-Stadt. Bis 4. März 2024 hatten die Angriffe im Israel‑Hamas‑Krieg mehr als 30.000 Menschen getötet und über 70.000 verletzt. Die WPP‑Jury vergab 2024 ausnahmsweise zwei „Special Mentions“, um die Schwere des Krieges und die Risiken für Bildjournalisten hervorzuheben.
World Press Photo 2024: Ein Freiwilliger rettet Katzen im überfluteten Hafenviertel von Cherson nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms. Die Flut hielt 19 Tage an. Die Ursache ist umstritten; beide Kriegsparteien geben sich die Schuld. Mindestens 17.500 Häuser auf beiden Seiten des Dnipro wurden überflutet; Rettung und Bergung wurden durch Beschuss erschwert. Der Fall zeigt, wie Wasser als Waffe eingesetzt wird; die Ukraine leitete Ermittlungen ein und reichte beim IStGH eine Ökozid-Anzeige ein.
World Press Photo 2014: 9. Dezember 2013
In der Zentralafrikanischen Republik übernahm im März ein Bündnis überwiegend muslimischer Rebellen („Séléka“) die Macht; die Gewalt eskalierte, etwa 400.000 Menschen wurden vertrieben.
26. Februar 2013: Afrikanische Migranten heben nachts am Strand von Dschibuti ihre Mobiltelefone in die Luft, um ein schwaches Signal aus Somalia zu empfangen – eine fragile Verbindung zu Angehörigen. Dschibuti am Südeingang des Roten Meeres ist ein Tor für Migranten am Horn von Afrika; das Bild, Teil eines Projekts über alte Migrationsrouten, wurde „World Press Photo of the Year“.
World Press Photo 2009: Ein russischer Soldat zündet eine Zigarette außerhalb von Gori an. Nach Gefechten um Südossetien rückten russische Truppen ein; später zogen sie sich unter einem Waffenstillstand wieder zurück.
World Press Photo 2002: In Bhachau, einer der am stärksten betroffenen Städte, leiden die Menschen noch Wochen nach dem Beben vom 26. Januar (Stärke 7,9, Dauer ~30 Sekunden) unter Kälte und Krankheit; 30.000 Tote, stark zerstörte Orte in der Nähe des Epizentrums.
World Press Photo 2002 – Eine Kette aus Batterien und Antennen auf CDs – originelle Accessoires für Mode in Dakar. Abseits der großen Zentren entwickeln Designerinnen und Designer individuelle Stile; eine internationale Fashion Week und der Karneval sorgen für überraschende Bilder.
World Press Photo 2002: Ein Nuba‑Junge vom Stamm der Tira. In den Bergen des Zentralsudan haben die Nuba seit Jahrhunderten eine eigene Kultur – doch Krieg zwischen Regierungstruppen und SPLA, Verstecke in Höhlen und religiöse Repression setzen ihnen zu; die Regierung brandmarkte die Nuba‑Berg‑Religion als häretisch.
Ein Kämpfer der NPFL Patriotic Front trägt einen verwundeten Kameraden in Sicherheit. In Liberia forderte die Gewalt rund um Monrovia rund 1.500 Tote; Hilfsorganisationen mussten Mitarbeiter evakuieren, fast die Hälfte der Bevölkerung floh. Im Machtkampf stand u. a. ein entlassener Minister und Warlord, gestützt von der Volksgruppe der Krahn.
World Press Photo 1995 – Für Rodeo-Cowboys in den USA ist Rodeo kein Hobby, sondern ein Lebensstil. Sie planen ihr Jahr nach dem Kalender, manche starten bei über 100 Wettbewerben; die Tradition wurzelt in den Ranches des Wilden Westens.
World Press Photo 1993 – US‑Basketballidol Earvin „Magic“ Johnson vergießt ein paar Tränen an dem Tag, an dem er mit 32 Jahren bei den Los Angeles Lakers zurücktritt. Im November 1991 hatte er seine HIV‑Infektion öffentlich gemacht; bei Olympia 1992 gewann er mit dem „Dream Team“ Gold.
World Press Photo 1992 – Kamele suchen zwischen brennenden Ölquellen in Kuwait nach Futter und Wasser, nachdem Saddam Hussein die Felder in Brand setzen ließ – eine ökologische Katastrophe ohnegleichen. Über 600 Quellen brannten; eine Kamelherde irrte durch die Feuerlandschaft.
World Press Photo 1992 – Während er mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht wird, trauert der verwundete US-Sergeant Ken Kozakiewicz (links), als er erfährt, dass der Leichensack neben dem verwundeten Corporal Michael Tsangarakis die sterblichen Überreste seines Freundes Andy Alaniz enthält. Kozakiewicz, Tsangarakis und Alaniz gehörten zur extrem gut bewaffneten 24. Infanteriedivision der US-Armee. Sie waren erschöpft, da sie in den letzten 63 Stunden fast ununterbrochen unterwegs waren und von Kuwait aus in den Irak in Richtung Euphrat-Tal vorgedrungen waren. Kozakiewicz, Alaniz und Tsangarakis befanden sich in verschiedenen Bradley-Militärfahrzeugen, die sich dem Flugplatz näherten, um das Gebiet zu säubern. Eine US-Panzereinheit, die sie eigentlich schützen sollte, verwechselte ihre Fahrzeuggruppe jedoch mit dem Feind und feuerte zwischen sechs und 18 Schüsse mit abgereichertem Uran ab, die drei Fahrzeuge trafen. Tsangarakis verlor das Bewusstsein und erlitt Verbrennungen im Gesicht, als sein Bradley getroffen wurde, während die Explosion Kozakiewicz‘ linke Hand zerquetschte. Alaniz wurde getötet, als er mit seinem Bradley zu Kozakiewicz‘ beschädigtem Fahrzeug fuhr, um ihm zu helfen.
World Press Photo 1991 – Der Australier Andreas Siegl, dem ein Arm und ein Bein fehlen, überspringt 1,71 m im Hochsprung bei den Weltmeisterschaften für Menschen mit Behinderung.
World Press Photo 1991 – 28. Januar 1990,
Nogovac, Kosovo, Jugoslawien. Familie und Nachbarn trauern um einen jungen Albaner, der bei einem Protest gegen die Abschaffung der Autonomie Kosovos getötet wurde. Seine Mutter Sabrié und seine Schwester Aferdita sitzen rechts, Schwester Ryvije in der Mitte. Der Konflikt markierte den Auftakt zum Kosovo-Krieg 1998–1999.
World Press Photo 1990 – Chaos auf den Straßen beim Trauerzug für Ayatollah Ruhollah Chomeini in Teheran. In der Menschenmenge kam es zu Gedränge; mehrere Menschen wurden zu Tode gedrückt, viele weitere ohnmächtig und verletzt.
Word PRess Photo 1990 – US‑Invasion in Panama („Operation Just Cause“). Ende 1989 wurde Diktator Manuel Noriega gestürzt und schließlich aufgespürt, nachdem er in einer vatikanischen Botschaft Zuflucht gesucht hatte.
World Press Photo 1985 – Kinder von US‑Präsidenten: Francis Cleveland probt für „Harvey“, das Klassiker‑Stück über einen Alkoholiker und seinen imaginären Hasen.
World Press Photo 1985 – Kinder von US‑Präsidenten: Steve Ford beendet eine Szene in der TV‑Serie „Schatten der Leidenschaft“ („The Young and the Restless“).
World Press Photo 1986 – 30. April 1985:
Shannon Jones wird gerettet. Nach einer Geiselnahme seiner vier Kinder, ausgelöst durch die Trennung von seiner Frau, konnte Patrick Jones festgenommen werden – ohne Blutvergießen.
World Press Photo 1979 – Weißes Alltagsleben in Rhodesien (heute: Simbabwe): Eine Lehrerin geht nach Dienstschluss nach Hause. Die „Internal Settlement“ von 1978, internationale Sanktionen und der Guerillakrieg gegen die weiße Minderheitsherrschaft führten 1979 zum Friedensabkommen und zu einer neuen Verfassung.
World Press Photo 1977 – 4. Juli 1976:
Die Großsegler‑Fregatte USS *Constellation* zwischen den Zwillingstürmen des World Trade Centers – New York feiert am Unabhängigkeitstag das 200‑jährige Bestehen der USA (Bicentennial).
Eine Vietnamesin weint über dem Leichnam ihres Mannes, der zusammen mit Dutzenden anderen in Massengräbern nahe Huế gefunden wurde. Sie identifizierte ihn an den Zähnen und bedeckte den Schädel mit ihrem Hut.
Die Ausstellung markiert nicht nur ein Jubiläum, sondern auch einen Wendepunkt. Erstmals hat die World Press Photo Foundation eine externe Kuratorin mit dem Rückblick beauftragt. Damit verbunden ist das Selbstverständnis, sich offen der Kritik zu stellen – und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
„Wenn sich die Geschichte wiederholt – und das tut sie –, dann muss sich unsere Bildsprache weiterentwickeln“, sagt Cristina de Middel. Und Joumana El Zein Khoury, Direktorin der Foundation, ergänzt: „Wer Bilder zeigt, zeigt immer auch Haltung. Diese Ausstellung ist eine Einladung, sich dieser Verantwortung bewusster zu stellen.“