Michael Hußmann nahm schon in seiner Jugend Kameras auseinander um zu schauen, was drin steckt. Nach Abschluss seines Studiums der Informatik und Linguistik über Tätigkeiten als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz und Softwareentwickler schreibt er als freier Journalist über Digitalkameras, optische, technische und ästhetische Grundlagen der Fotografie, Digital Imaging, Farbmanagement, Künstliche Intelligenz und neue Technologien.
Abgeblendet: Dann gibt es Sterne

Fotowissen: Beugung und Beugungskorrektur
Oft ist die Furcht vor der Beugung übertrieben, zumal immer mehr Kamerahersteller versuchen, diesem Effekt auf digitalem Weg seine Schrecken zu nehmen. Wir erklären, was Beugung ist und wie sie sich korrigieren lässt
Die Blendenwahl hat verschiedene Wirkungen und Nebenwirkungen. Sie steuert die Belichtung und erlaubt die Bildgestaltung über die Schärfentiefe, aber sie beeinflusst auch die Abbildungsqualität des Objektivs. Ein maßvolles Abblenden verringert Abbildungsfehler wie die sphärische Aberration und verbessert damit die Schärfe; stärkeres Abblenden vergrößert dagegen den Einfluss der Beugung, sodass sich die Schärfe wieder verschlechtert.
Für jedes Objektiv gibt es einen optimalen Blendenwert, bei dem die Abbildungsleistung maximal ist, aber wenn man allein darauf achten würde, könnte man die Blende nicht mehr zur Bildgestaltung nutzen. Für die Freiheit, ohne nennenswerte Einbußen an Schärfe aufblenden zu können, braucht man ein hoch korrigiertes – und wegen des höheren Aufwandes durchweg auch teures – Objektiv. Dagegen ist mehr Schärfe bei kleinen Blenden nicht käuflich – die Beugungsunschärfe entsteht an der Blendenöffnung und wird durch die Objektivkonstruktion nicht beeinflusst.
Gebeugtes Licht
Von einem Lichtstrahl erwarten wir, dass er sich durch den leeren Raum geradlinig ausbreitet; wenn er dagegen auf ein Hindernis trifft, wird er blockiert. Da sich das Licht aber in vielerlei Hinsicht wie eine Welle verhält, ist es leider nicht so einfach: Licht, das eine Öffnung passiert, breitet sich nicht nur geradlinig aus, sondern wird teilweise in die Schattenzone gebeugt. Dieses gebeugte Licht macht aus jedem Punkt, den ein perfekt korrigiertes Objektiv abbilden würde, einen diffusen Fleck – das sogenannte Beugungsscheibchen.
Die gebeugten Lichtwellen können sich auf unterschiedliche Weise überlagern: Teils treffen Wellenberge auf Wellenberge und verstärken sich, teils treffen aber Wellenberge auf Wellentäler und löschen sich gegenseitig aus. Dies hat zur Folge, dass Beugungsscheibchen von hellen und dunklen Ringen umgeben sind, die aber weit lichtschwächer sind als das Beugungsscheibchen. Die Größe des Beugungsscheibchens und damit das Ausmaß der Beugungsunschärfe hängt unter anderem von der Blendenöffnung ab: Je kleiner deren Durchmesser, desto größer das Beugungsscheibchen.
Den Durchmesser der Blende kann man nicht unmittelbar an der Blendenzahl ablesen, die ja das Verhältnis zwischen Brennweite und Blendenöffnung ist. Daher spielt auch die Brennweite eine Rolle und indirekt auch das Sensorformat – je größer der Sensor, desto länger ist die Brennweite, mit der sich ein bestimmter Bildwinkel ergibt, und desto größer sind auch typische Blendenöffnungen.
Je kleiner die Pixel sind, desto größer ist die Gefahr der Beugungsunschärfe.
Die vor rund 80 Jahren gegründete Fotografengruppe „f/64“ hatte sich danach benannt, wie weit sie die Objektive ihrer Großformatkameras zur Maximierung der Schärfentiefe abblendeten. Bei Objektiven für Kleinbildkameras endet die Blendenskala meist mit f/32 und bei APS-C-Kameras ist die Grenze durchweg mit f/22 erreicht. Diesen kleinsten verfügbaren Blenden entspricht bei jedem Bildformat eine Öffnung von etwa 1,0 bis 1,5 mm. Bei einer kleineren Blendenöffnung würde die Beugungsunschärfe zum Problem werden. Es liegt auf der Hand, dass Kompaktkameras mit ihren nur fingernagelgroßen Sensoren noch anfälliger für Beugungsunschärfe sein müssen; weiter als f/5,6 oder f/8 sollten Sie die Objektive solcher Modelle mit Sensoren von 1/2,3 Zoll bis 2/3 Zoll nicht abblenden.
Schreckgespenst Beugungsunschärfe
Vor einigen Jahren wurde der Verlust an Bildqualität durch die Beugungsunschärfe in Fotoforen viel diskutiert. Das hing mit den immer höheren Megapixelzahlen auf einer kleinen Sensorfläche zusammen, die jedem einzelnen Pixel nur noch 2 μm in der Höhe und Breite ließ – inzwischen sind die Pixel noch weiter geschrumpft und nähern sich 1 μm an. Schon bei relativ großen Blenden wie f/2,8 entstehen nun aber Beugungsscheibchen von fast 4 μm Durchmesser – das Licht eines Punkts würde also schon auf mindestens drei Zeilen und Spalten von Sensorpixeln fallen, und so würde aus dem Punkt ein verschwommener Fleck.
Diese überschlägige Berechnung legt nahe, Kompaktkameras mit kleinen Sensoren besser gar nicht mehr abzublenden, um Beugungsunschärfe zu vermeiden. Die Kamerahersteller sind daher oft auf ND-Filter als Blendenersatz ausgewichen, die wie eine Irisblende den Lichtstrom reduzieren, ohne jedoch die Blendenöffnung weiter zu verkleinern. Dass ein solches Filter keine Wirkung auf die Schärfentiefe hat, lässt sich angesichts der ohnehin großen Schärfentiefe solcher Kameras verschmerzen.
Mut zu kleinen Blenden
Die Gefahr der Beugungsunschärfe ist real, wovon Sie sich leicht überzeugen können, indem Sie ein Motiv mit unterschiedlichen Blenden aufnehmen und die Detailschärfe vergleichen. Dennoch schossen die Warnungen vor dem Abblenden oft über das Ziel hinaus. In manchen Situationen lässt sich das Abblenden kaum vermeiden; so etwa bei Makroaufnahmen, bei denen die Schärfentiefe ohnehin schon gering ist. Die Ausdehnung der Schärfenzone durch starkes Abblenden bleibt dann sinnvoll, auch wenn die maximale Schärfe im Bild darunter leidet.
Zudem ist Beugungsunschärfe kein Schicksal; vielmehr lässt sich gerade diese Art der Unschärfe gut durch Nachschärfen bekämpfen. Damit steht sie im Gegensatz zur Unschärfe außerhalb der Schärfenzone – die Schärfentiefe kann man nicht durch Nachschärfen ausdehnen.
Punktförmige Details im unscharfen Hintergrund werden als Scheiben annähernd einheitlicher Helligkeit abgebildet, den sogenannten Unschärfekreisen. Das unscharfe – weil unfokussierte – Bild entsteht aus der Überlagerung solcher Scheiben, und daraus lässt sich kein scharfes Bild mehr erzeugen. Dagegen sind die Beugungsscheibchen zwar in ihrem Zentrum hell; bis zu ihrem Rand fällt die Helligkeit aber auf Null ab. Beugungsscheibchen zweier benachbarter Punkte dürfen sich daher stärker als Unschärfekreise überlagern, ohne dass die Punkte unauflösbar miteinander verschmelzen. Durch ein behutsames Nachschärfen, das den Mikrokontrast im Bild verstärkt, kann man die Bildschärfe teilweise zurückgewinnen und die gerade noch aufgelösten Details hervorheben.
Beugung herausrechnen
Einige neuere Kameramodelle mit schnellen Prozessoren wie dem EXR II (Fuji), TruePic VII (Olympus) und BIONZ-X (Sony) versuchen, der Beugungsunschärfe schon in der internen Bildverarbeitung zu begegnen. Ein sehr wirksames Scharfzeichnungsverfahren ist die Dekonvolution, wie wir sie in fotoMAGAZIN Ausgabe 2/2014 ab Seite 54 beschrieben hatten. Dort ging es um Plug-ins, die Verwacklungsunschärfe herauszurechnen versuchen, wofür eine „blinde“ Dekonvolution nötig ist – die Software muss erst die genaue Art der Unschärfe herausfinden, um sie dann zu reduzieren.
Die Natur der Beugungsunschärfe ist dagegen bekannt – jedenfalls den Herstellern, die genaue Daten darüber haben, was für eine Unschärfe jedes ihrer Objektive bei einer bestimmten Kombination von Brennweite, Blende und Entfernungseinstellung erzeugt. Dieses Wissen nutzen Fuji, Olympus und Sony, um die Beugungsunschärfe mittels einer Dekonvolution teilweise herauszurechnen. Die nötigen Daten lassen sich in den Objektiven selbst speichern; die Dekonvolution selbst ist dann die Aufgabe des Prozessors in der Kamera. Die nötigen Berechnungen sind auch bei einer nicht blinden Dekonvolution sehr komplex, weshalb sie besonders leistungsfähige Prozessoren voraussetzen.
Der Vorteil einer Dekonvolution gegenüber einem traditionellen Nachschärfungsverfahren besteht darin, dass sie eine präzise bekannte Unschärfe eliminiert. Auf diese Weise werden Artefakte durch Überschärfen vermieden und es können kontrastarme Details herausgearbeitet werden, die bei einer Unscharfmaskierung verloren gingen. Für den Fotografen sind die Vorteile dieses Verfahrens nicht unmittelbar nachzuvollziehen, da die Dekonvolution selten optional ist; nur bei den Fuji-Modellen X-E2 und X-T1 kann man den als „Lens Modulation Optimizer“ (LMO) bezeichneten Verarbeitungsschritt im Menü abschalten. In der Praxis ist der Zugewinn an Schärfe nicht so ausgeprägt, wie das Werbematerial der Hersteller suggeriert; mit einer behutsamen Unscharfmaskierung erhält man durchaus vergleichbare Ergebnisse und nur bei kontrastarmen feinen Details kann die Dekonvolution Vorteile geltend machen.
Und was ist mit Raw?
Wer großen Wert auf maximale Schärfe und Detailauflösung legt, wird ohnehin einen Raw-Workflow bevorzugen, muss dann aber auf die Unterdrückung der Beugungsunschärfe verzichten. Die Dekonvolution benötigt RGB-Bilddaten und kann daher nicht bereits die Rohdaten des Sensors scharfzeichnen, und so muss sich der Fotograf zwischen der Flexibilität eines Raw-Workflow und den speziellen Technologien entscheiden, die nur in der kamerinternen Bildverarbeitung angewandt werden.
Es gäbe allerdings einen Ausweg, den die Kamerahersteller bisher nicht beschritten haben: Sie könnten die Informationen über die Beugungsunschärfe in den Metadaten der Raw-Bilder speichern. Da es sich hier lediglich um kleine Schwarzweißbilder handelt, die zeigen, wie ein Punkt unscharf abgebildet wird, wäre dazu nicht einmal ein komplexes Format nötig. Die Hersteller der Raw-Konverter müssten ein Dekonvolutionsverfahren implementieren, um diese Daten anwenden zu können. Durch dessen Qualität und Geschwindigkeit könnten sie sich von den Mitbewerbern absetzen. Die optimale Lösung, der Beugungsunschärfe weitgehend ihre Schrecken zu nehmen, erforderte keinen weiteren technologischen Durchbruch, sondern nur eine bessere Zusammenarbeit der Hard- und Software-Hersteller.
Dieser Artikel ist in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 08/2014 erschienen.
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