Es war einmal, 1931, so die Legende, dass eine Maus in der Dunkelkammer Man Ray’s über Lee Millers’ Fuß lief. Vor Schreck soll sie während des Entwicklungsprozesses das Licht angestellt haben. Das überraschende Ergebnis: Der im Entwicklungsbad befindliche Abzug war wegen des Lichteinfalls nicht etwa komplett schwarz und überbelichtet, sondern die Konturen traten stärker hervor. Ein höchst interessantes Bild entstand, die Verfremdung passte in die Zeit, sie machte das Bild surreal. Man Ray und Lee Miller begannen nun viele Motive so zu belichten und nannten sie Rayographie. Im Volksmund, aber auch in der Kunstgeschichte werden solche Bilder als Solarisation bezeichnet, das ist aber falsch.
Echte Solarisation
Eine echte Solarisation entsteht, wenn von Anfang an deutlich mehr Licht auf eine Stelle einer lichtempfindlichen Schicht trifft. Dies geschieht zum Beispiel, wenn man direkt in die Sonne fotografiert. Es entsteht eine bis heute ungenügend erforschte, hochkomplexe chemische Reaktion. Vereinfacht gesagt, dort wo die Sonne abgebildet ist, entsteht durch die Überreaktion des Silbers eine dichte Masse. Bei einer Daguerreotypie wird diese spiegelartig glänzend zum Teil blau schimmernd, auf einem Film intensiv mattschwarz. Schon früh war man sich dieses Umkehreffektes durch Überbelichtung bewusst, und musste damit umzugehen lernen, da man dies als Fehlbelichtung wahrnahm. Auch im digitalen Aufnahmeprozess kann dieser Belichtungsfehler vorkommen.
Aus Sabatier wird der Sabattier-Effekt
Was verschiedene Fotografen wie Man Ray anwendeten, ist eigentlich ein Sabattier-Effekt. Chemisch ist das eine ganz andere Reaktion. Man Ray war auch nicht der Erfinder, das erste Mal beschrieb Armand Sabatier 1860 diesen Effekt. Aufgrund eines Druckfehlers in seiner Abhandlung nennt man ihn heute Sabattier-Effekt mit zwei „t“. Anders als die echte Solarisation, die in der Kamera geschieht, entsteht der Sabattier-Effekt durch eine Nachbelichtung im Labor während des Entwicklungsprozesses. Eigentlich ist dieser Effekt ganz einfach herzustellen. Ein Abzug wird normal unter Rotlicht belichtet, im Entwicklungsbad, wenn die Konturen des Bildes langsam deutlich werden, stellt man kurz das Weißlicht an. Um die optimale Wirkung der Chemie zu erzielen, darf das Bad nicht mehr bewegt werden. Es vollzieht sich ein Umkehreffekt im Bild und es entsteht eine Art Mischung aus Negativ und Positiv. Für den Sabattier-Effekt eignen sich Motive mit starken Kontrasten und Konturen. Diese Bilder waren besonders im Surrealismus beliebt, aber auch in der 1960ern aufgrund der psychedelischen Anmutung. Der Effekt lässt sich zwar ganz einfach im Bildbearbeitungsprogramm mit der Filterfunktion „solarisieren“ darstellen, es fehlt diesen Bildern jedoch meist der Nimbus der bewusst-spontanen handwerklichen Ausdrucksweise. Im Fotolabor muss man sich enorm viel Zeit nehmen, denn jeder Abzug wird anders – Achtung Suchtgefahr!
Text: Peter Michels
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