„Sweet Spots“ im Frankfurter Stadtbild. Marina Biederbicks Aufnahmen geben mit Tilt & Shift-Technik zur Blauen Stunde emotionale Zustandsbeschreibungen der Mainmetropole. Die 23-jährige Fotodesignerin gewinnt damit den New Talent Award 2009 von fotoMAGAZIN und der Firma Voigtländer
Der erste Eindruck: Mein Gott, ist das hier alles grau! Marina Biederbicks erstes Date mit Frankfurt im Winter 2009 war etwas ernüchternd. Das Location-Scouting in der Stadt bei tristem, bedecktem Himmel verlangte ihr etwas Vorstellungskraft ab. Überhaupt war in der Fotografie der letzten Jahre vieles sehr gedämpft. Die Düsseldorfer Becher-Schule zelebrierte den neutral-grauen Himmel. Städte dürfen auch bunt sein, findet jetzt Biederbick. Sie mag es, wenn frühmorgens die Gebäude im ersten Sonnenlicht zu leuchten beginnen. Und das sollten sie doch bitte auch in Frankfurt. Sie wollte die Mainmetropole in intensiven Farben portraitieren.
Sweet Spots sollte ihr Stadtportrait doppeldeutig heißen. Der Begriff bezieht sich auf einen Bereich mit optimaler Wirkung. In der Fotografie kann das die Zone optimaler Abbildungsschärfe sein, oder sich einfach nur auf die optimale Wirkung eines Bildes beziehen.
In den letzten Jahren waren die Farben in der Fotografie reduziert. Stadtbilder dürfen auch mal richtig bunt sein
Die 23-Jährige Wahl-Münchnerin suchte sich Perspektiven, die deutlich von den Ikonen und Postkartenmotiven abweichen. Selektive Schärfe durch das Verschwenken des Objektivs (Fachbegriff: Tilten) gibt ihren Sweet Spot-Aufnahmen eine unwirkliche Anmutung und großflächige Unschärfebereiche, in denen die Farbe zerrinnt wie feucht auf Aquarellpapier gepinselt.
Die Sache mit der Blauen Stunde muss man leider auch etwas relativieren: Zum Fotografieren mit der Großformatkamera blieben im Idealfall morgens und abends je 20 Minuten, in denen das Licht perfekt war. Biederbicks Arbeiten liefern uns Zustandsbeschreibungen einer Stadt und eines Gefühls.
Dazu sagt die Absolventin des Studiengangs Fotodesign an der FH München Sätze wie: Städte sind heute totfotografiert. Ich wollte dem mit meinen individuellen Eindrücken etwas entgegensetzen. Natürlich ist sie nicht die Erste, die Tilt & Shift-Technik in der Architekturfotografie einsetzt. Sie kennt die Arbeiten von Miklos Gaál und Olivo Barbieri, die mit diesem Stilmittel seit Jahren arbeiten, hat deshalb beschlossen, keine Menschen in ihre Stadtbilder zu integrieren und nur eine leicht erhöhte Perspektive zu suchen.
Frankfurter Sweet Spots: Akzente durch Schärfeverschiebung und Farben wie auf Aquarellpapier
Der bekannte Tilt-Effekt der Stadt als miniaturisiertes Legoland bleibt. Biederbicks selektiver Fokus akzentuiert scheinbar Belangloses wie einen Gebäudetrakt im Heizkraftwerk oder ein Hochhaus in der Skyline. Ich wollte die Stadt so zeigen, wie man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann, sagt sie. Ihr Ansatz hat die New Talent-Jury überzeugt. Am 27. November hat Biederbick den mit 5000 Euro dotierten Nachwuchsförderpreis von fotoMAGAZIN und der Firma Voigtländer überreicht bekommen.
Die Preisträgerin: Marina Biederbick
Alter: 23 Jahre, geboren in Bamberg, 2005 Abitur in Höchstadt/Aisch; 2008 Teilnahme an der Gruppenausstellung München 360; 2009 Abschluss des Bachelor-Studiengangs Fotodesign an der FH München mit Sweet Spots Frankfurt
Website: www.sweet-spots.de
Der New Talent Award ist im Jahr 2006 von Voigtländer, dem ältesten Kamerahersteller der Welt, in Zusammenarbeit mit fotoMAGAZIN zum 250. Firmengeburtstag ins Leben gerufen worden und wird jährlich ausgeschrieben.
Die bisherigen Preisträger:
Frank Herfort (2006); Juliane Eirich (2007); Steffi Klenz (2008)
Manfred Zollner
Unser Chefredakteur Manfred Zollner hat bereits während seines Studiums der Kommunikationswissenschaft sein Taschengeld als Konzertfotograf verdient. Der langjährige stellvertretende Chefredakteur des Heftes leitet seit April 2019 die Redaktion. Darüber hinaus betreut er das einmal im Jahr erscheinende XXL-Heft fotoMAGAZIN EDITION mit herausragenden Fine Art-Portfolios.
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