Vermutlich kennt niemand den Kamera-Gebrauchtmarkt in Deutschland besser als unser Kolumnist und Autor Winfried Warnke: Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit Schätzen aus zweiter Hand. Einmal im Jahr erstellt er für das fotoMAGAZIN den Secondhand-Guide, auch als FOMAG-Liste bekannt. Für unser Technik-Forum schreibt er in jeder Ausgabe die Second-Hand-Kolumne.
Gebrauchtmarkt: Da kriege ich Zustände
Welche Risiken beim Internetkauf auftreten können
Patina ist ein schillernder Begriff: Für die einen stellt sie die besondere Verfeinerung des Alten dar, für die anderen ist sie ein Synonym für morbide Vergänglichkeit. Ob nun Edelrost oder beginnender Verfall, diese subjektive Betrachtungsweise macht die Einschätzung von Secondhand-Ware so kompliziert; besonders von gebrauchten Fotoartikeln.
Anders als beim gebrauchten Kühlschrank – wer baut hier schon emotionale Beziehungen auf? – ist der Fotoapparat verknüpft mit vielen ganz persönlichen Erinnerungen. Das kann den Blick trüben. Es gibt aber auch Schlitzohren, die, unterstützt von krimineller Energie, mit verklärenden Angaben zum Zustand ein paar Euro mehr auf dem Gebrauchtmarkt herausholen wollen. Gerade bei den wertigen Sammler-Klassikern (Leica, Rollei, Zeiss) lassen sich mit Beschönigungen schon mal mehrere hundert Euro herausholen. Zustandskriterien für fotografische Gebrauchtware sind der puren Willkür ausgesetzt. Selbst die vorgegebenen Maßstäbe in dem großen Internet-Auktionshaus sind derart schwammig, dass diese nur wenig Hilfestellung leisten.
„Neuwertig“ ist nicht „neu“ – oder? Ist „absolut neuwertig“ neuer als „neu“? Bezieht sich „neu“ nur auf den ungebrauchten Zustand oder auch auf das Alter? Wenn schon bei der Einschätzung „neu“ diese Konfusion auftritt, wie groß ist der Interpretationsspielraum dann erst bei gebrauchter Ware? Gerade die großen Web-Gebrauchthändler nutzen eigene Bewertungsraster, die kaum vergleichbar sind und eine ähnlich dubiose Aussagekraft besitzen wie die Bewertungen der Rating-Agenturen im Finanzsektor. Wer meint, dass der Zustand „A“ bei einem großen Anbieter wohl Spitzenqualität dokumentiert, wird mit einem Link belehrt, dass es auch noch die Kriterien „AA“ und „AA*“ gibt. Hier geht es nicht um Transparenz, sondern eher um Verschleierung.
Anders, als beim Kauf auf Fotobörsen oder beim seriösen Gebrauchthändler, ist der Internet-Kauf – was den Produktzustand angeht – mit hohen Risiken behaftet. Gele- gentlich wird versucht, die Möglichkeit der Rückgabe über die Widerspruchsfrist auszuhebeln, sodass sie für Sammler-Gegenstände ausgeschlossen wird – ein fragwürdiges Verfahren. Schnäppchen-Freude und Zustandsfrustration – mit diesen beiden Polen muss der Gebrauchtkäufer wohl leben.
Diese Kolumne ist in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 01/2015 erschienen.
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