Gebrauchtmarkt: Über Schnäppchen-Jäger, Sammler und Patina-Fans

Warnkes Secondhand-Kolumne
17.01.2017

Auf dem Gebrauchtmarkt geht es nicht nur um Schnäppchen, sondern auch um Sammlerherzen, die vor allem bei abgeriebenem schwarzen Lack mit durchscheinendem Messing in die Höhe schlagen. Ein Gefühl von alten Fotografenabenteuern inklusive

Super, eine gebrauchte Nikon D4 für unter 2000 Euro. Da schlägt das Herz des Schnäppchen-Jägers höher, wird die Kamera doch im Secondhand-Guide des fotoMAGAZINs (foMAG-Liste) mit 2900 Euro bewertet. Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Über 250.000 Auslösungen weist das Objekt der Begierde aus. Auch Canon-Fans werden verführt: Keine 800 Euro für eine gebrauchte Canon EOS-1D Mark IV, da kommt Freude auf, das ist die Hälfte des foMAG-Preises. Aber auch hier währt der Jubel nicht lang. 230.000 Klicks hat die Kamera auf dem Tacho.

Kameras mit starken Nutzungsmerkmalen sind nahezu unverkäuflich

Profimäßige Nutzung ist ein brutaler Preisdrücker. Gerade die Spitzenmodelle von Canon und Nikon sind oft ausgelutschte Werkzeuge mit hohem Verschleiß und kostenintensiven Folgereparaturen. Neuwertige Ware ist kaum zu finden und treibt die Preise dann schnell in Regionen, die 20 bis 30 Prozent über Listen-Niveau liegen (Bezugspunkt bei Profi-Typen: leicht gebrauchter Zustand mit ca. 50.000 Auslösungen). Gänzlich anders stellt sich die Situation bei den Kameras im Amateur- und Knipserbereich dar. Hier ist gepflegte Gebrauchtware Standard, Kameras mit starken Nutzungsmerkmalen sind nahezu unverkäuflich.

Respektieren die Anwender-Käufer eher gebrauchtere Erhaltungsgrade, so sind die Sammler-Typen penible Menschen, die schon mit dem Lupen-Auge auf die Welt kommen. Für sie sind die begehrten Objekte (Rolleiflex F, Leica M, Nikon F, aber auch Olympus OM oder Pentax Spotmatic) eher Schmuseobjekte, denn fotografisches Werkzeug. Sie akzeptieren eher technische Mängel; das Äußere ist ihnen heilig. Daher sind die Preise bei den Sammel-Klassikern extrem zustandsabhängig. Zwischen einer neuwertigen Rolleiflex 2,8F und einer stark gebrauchten liegen gut und gerne 1500 Euro Preisdifferenz.

Sammler erleben beim Streicheln ihrer bewunderten Objekte die Fotografenabenteuer, die sie selbst nie erlebt haben

Und dann gibt es da noch die Patina-Fraktion. Sie steht auf stark Gebrauchte, deren Äußeres ein bewegtes Arbeitsleben dokumentiert. Die legendäre Anzeige mit einer stark ramponierten Nikon F3 aus dem Jahr 1990 – „3x Vietnam, 1x Kambodscha, 2x Nordirland, 1x Libanon, 1x Äthiopien, 2x Sri Lanka, 1x Nicaragua, 1x China, 1x Rumänien, 1x Reparatur“ – trifft den Kern dieses Fühlens: Sammler erleben beim Streicheln ihrer bewunderten Objekte die Fotografenabenteuer, die sie selbst nie erlebt haben. Abgeriebener schwarzer Lack mit durchscheinendem Messing versetzt die Besitzer in Ekstase. Hier durchbrechen selbst die penibelsten Leica-Sammler ihre Schamgrenzen und bezahlen Traumpreise für schwarze Patina-M3s. Für abgeschubberte, digitale Profi-Kunststoffboliden wird sich dagegen in Zukunft niemand interessieren.

 

Diese Kolumne ist in unserer Ausgabe  fotoMAGAZIN 1/2016 erschienen.

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Über den Autor
Winfried Warnke

Vermutlich kennt niemand den Kamera-Gebrauchtmarkt in Deutschland besser als unser Kolumnist und Autor Winfried Warnke: Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit Schätzen aus zweiter Hand. Einmal im Jahr erstellt er für das fotoMAGAZIN den Secondhand-Guide, auch als FOMAG-Liste bekannt. Für unser Technik-Forum schreibt er in jeder Ausgabe die Second-Hand-Kolumne.