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Die Möwe, 1998
© Sarah Moon
Sarah Moon
"Jedes Foto ist ein Selbstportrait."
28.11.2016
Sarah Moon revolutionierte die Modefotografie der 70er-Jahre. Mit ihren verträumten Arbeiten brachte die Modefotografin Emotionen in die oft so kühle Fashionszene. Erfahren Sie mehr im exklusiven fM-Interview
Mit ihren Arbeiten prägte Sie die Modefotografie, denn ihre verträumten Bilder lassen jedes Gefühl für Zeit und Raum verschwimmen. Sie sind in unscharfem Schwarzweiß gehalten, lassen Platz für Interpretationen. Ihr Lieblingsmaterial ist dabei seit jeher das Sofortbild. Die 1941 geborene Fotografin war zunächst selbt als Model tätig, bevor sie 1968 selbst die Kamera in die Hände nahm. Heute zählt sie Modelabel wie Dior, Chanel, Cacharel, Issey Miyake und Valentino zu ihren Auftraggebern. Im exklusiven fM-Interview berichtet uns Sarah Moon über den Einfluss des Unbewussten in ihrer Fotografie.
fotoMAGAZIN: Diane Arbus sagte mal, ein Foto sei ein Geheimnis über ein Geheimnis. Je mehr es uns verrät, desto weniger wissen wir ...
Moon: ... Ich liebe dieses Zitat! (lächelt) Ich verwende es oft. Genau das ist so schön an der Fotografie!
fM: Wenn Sie viel fotografieren, lernen Sie dann mehr über das gleiche Geheimnis oder etwas über immer neue Geheimnisse?
Moon: Manchmal lerne ich etwas über andere Geheimnisse, aber es ist so, als wären das verschiedene Wurzeln eines Geheimnisses, das ich nicht kenne. Ich kenne nur einen Funken davon.
fM: Erfahren wir nicht letztlich bei der Fotografie immer etwas über uns selbst?
Moon: Ich glaube, jedes Foto ist ein Selbstportrait. Ich habe jahrelang in der angewandten Fotografie gearbeitet. Es war wohl meine Art, über eine Frau zu sprechen, die eine Heldin war. In dieser eng begrenzten Modewelt gibt es Dinge an dieser Frau, die Gemeinsamkeiten mit mir zeigen, wenn man einen längeren Zeitraum betrachtet. Jetzt, da ich mich weiterentwickelt habe, identifiziere ich mich mit dieser Frau nicht mehr, aber ich habe Erinnerungen an diese Frau.
fM: Haben Sie beim Fotografieren mehr über sich gelernt?
Moon: Ich sage immer, dass mir das Foto zeigt, was in einem Augenblick in meinem Kopf herumschwirrte, doch ich kann kein Statement darüber abgeben, was es freilegt. Ich sehe ein paar Dinge, die sich wiederholen. Das Gefühl von Einsamkeit und Verlust. Natürlich erkenne ich das, aber ich weiß nicht, um welchen Verlust es da geht.
fM: Ihre Arbeitsweise scheint sehr intuitiv zu sein!
Moon: Ja, selbst wenn ich mich vorbereite hoffe ich, dass etwas passiert, auf das ich nicht vorbereitet bin.
fM: Ist es bei diesem Ansatz besser, die Dinge nicht zu analysieren, da das etwas von der Intuition nehmen könnte?
Moon: Es ist schwierig, wenn mich Leute fragen, woher die Inspiration kommt. Ich kann es nicht sagen. Ich sehe etwas und lade es in dem Moment mit etwas auf. Doch erst wenn ich das Bild sehe, entdecke ich, womit ich es aufgeladen habe. Selbst in meinen Filmen ist das so: Ich muss mich vorbereiten, muss zumindest nahe an dem Gefühl sein, das ich zum Ausdruck bringen möchte, aber ich will bereit sein für das Unerwartete. Ich glaube an die Stärke des Unbewussten.
fM: Warum beschlossen Sie in den 60er- Jahren Fotografin zu werden?
SM: Ich dachte nie, dass ich Fotografin werden würde. Ich fotografierte eine Freundin, die Model werden wollte. Jemand hatte mir eine Kamera gegeben. Eines Tages fragte dann jemand nach meinem Portfolio. Ich hatte nur Fotos von Models. Doch von diesem Moment an machte ich weiter. Ich mochte es, die Frauen aus dem Set zu nehmen, aus dem Ready Made Image. Ich kannte sie. So machte ich Modefotos, aber mit etwas Komplizenhaftem.
fM: Ihre Karriere als Fotografin begann etwa zeitgleich mit dem Moment, als der Hotspot der Modefotografie von London nach Paris wanderte. Die Sechziger waren die Zeit von David Bailey, von Antonionis Kultfilm Blow Up ...
Moon: Genau die Zeit, in der ich modelte. Ich erinnere mich noch, wie ich zum ersten Mal bei Elle meine Arbeiten zeigte. Roman Sislewich sagte mir damals, die Fotos seien nicht modisch genug. Trotzdem ging es weiter. Aber das war nicht die Art Fotos (jener Tage). Zunächst mal gab es nur wenige Frauen, die Frauen fotografierten. Es war mehr ein Dialog zwischen Mann und Frau, der die Frauen so kodiert erscheinen ließ. Ich hingegen fotografierte Frauen, die mit mir im gleichen Job gearbeitet hatten.
fM: Die Moderedakteurin, die Ihre erste Arbeit für die britische Harper´s Bazaar betreute, wurde nach der Veröffentlichung gefeuert. Was war passiert?
Moon: Ich weiß es nicht. Ich hatte davor nur einen Job gemacht. Damals war ich mit dem Fotografen John Kock und seiner Lebensgefährtin Elfie Semotan befreundet. Eines Tages hatten die beiden einen Job für mich bei der Zeitschrift Nova. Ich hatte viel bei Elfie fotografiert und John zeigte uns, wie man Bilder entwickelt. Ich sollte in London das Bild eines Alptraums machen. John sah die Aufnahme, stellte mir dann jemanden vor. Das war die Moderedakteurin von Harper´s, die mich die ganze Modekollektion fotografieren ließ.
fM: Das Ergebnis muss herausragend gewesen sein!
Moon: Ich war noch nicht wirklich bereit für Arbeit, aber Sie mochte, was ich machte. Ich beschloss, die Story mit einer Frau und einem Kind zu fotografieren. Ich habe kein einziges Negativ mehr von damals! Keine Ahnung, wo die Bilder sind. Ich habe einen seltsamen Draht zu dieser Zeit. Ich fing erst an, über meine Fotos nachzudenken, als ich Fotos für mich machte. Ich machte zwar Modeaufnahmen, aber damals war das angewandte Fotografie. Ich habe außerdem 15 Jahre mit einem mir sehr lieben Assistenten zusammengearbeitet, der mehr über Technik wusste als ich. Er starb im Jahr 1985. Von dem Moment an fühlte ich, dass ich wirklich für mich arbeitete. Nicht dass er meine Fotos gemacht hätte, aber ich hatte mich auf ihn verlassen.
fM: Der Tod von Ihrem Assistenten und Freundes Mike Yavel im Jahr 1985 scheint mir als Wendepunkt in Ihrer Karriere vergleichbar mit dem Herzinfarkt von Helmut Newton 1971.
Moon: Davor war die Fotografie mein Job. Ich arbeitete 15 Jahre lang drei Tage pro Woche, damals begann ich mit Cacharel. Nun nahm ich plötzlich eine andere Kamera und begann, andere Sachen zu fotografieren. Und ich begann zu filmen.
fM: Hat Ihre Arbeit als Filmemacherin Ihre Art zu fotografieren beeinflusst?
Moon: Oh ja. Ich hatte nicht das Bedürfnis, eine Story zu machen. In den 70ern hatten wir acht Seiten Platz. Es gab zwar kein Script, aber in unseren Köpfen gab es einen Anfang und ein Ende. Leute wie Newton und ich machten eine Story. Wir schufen Sets, platzierten die Leute und stellten uns nichts vor. Es ging um nichts. Wir erzeugten nur eine Stimmung. Und Film war meine Art, Geschichten zu erzählen. Deshalb musste für mich ein Foto die ganze Story zeigen, mit dem Davor und dem Danach.
fM: Rückblickend zeigen Sie heute keine große Liebe zu Ihrem Frühwerk!
Moon: Ich kann mich mit den frühen Fotos nicht mehr identifizieren. Nicht, weil ich denke, dass sie schlecht seien, sondern weil ich heute nicht mehr so fühle.
fM: Fühlt sich das für Sie wie eine andere Person an, die die Fotos machte?
Moon: Es ist schon dieselbe, nur jünger (grinst). Mit einer anderen Vision.
Die Fotografie ist ein Abenteuer,
das Schritt für Schritt vorwärts geht.
fM: Haben Sie je herausgefunden, warum die Harper´s Redakteurin gefeuert wurde?
Moon: Nicht wegen mir! Oder doch? Ich erzählte die Geschichte eines kleinen Jungen, der sich in eine erwachsene Frau verliebt hat, aber daran fand ich nichts Seltsames.
fM: Wie haben Sie die 70er-Jahre in der Modefotografie erlebt?
Moon: Der Glamour war anders. Es gab eine andere Art, sich der Mode zu nähern. Die Frau musste nicht diese Art von Sophisticated Woman nach Hollywoodmanier sein. Intim klingt jetzt hochtrabend, aber es gab mehr Intimität bei der Betrachtung der Frau. Jetzt kommt alles zurück zu den Sechzigern.
fM: Woher nahmen Sie die Kraft, einen eigenen Weg zu beschreiten?
Moon: Weil es nicht mein Job war. Zunächst hatte ich nicht das Gefühl, dass ich eine Fotografin sei.
fM: Aber Sie hatten von Anfang an Ihre eigene Sichtweise.
Moon: Ich habe immer den Kunden gesagt, ich muss an die Sache glauben. Wenn ich das nicht mache, kann ich nicht fotografieren. Natürlich war es meine Sichtweise. Ich hatte ja keine Spezialausbildung in einer Schule. Da war ich überhaupt nicht involviert, hatte keine Ausbildung dafür, die Mode so zu zeigen, wie sie war.
fM: Ließ Sie ein Kunde wie Cacharel machen, was Sie wollten?
Moon: Das war wohl mein Glück. Eine Freundin von mir arbeitete bei Cacharel. Ich war noch immer keine Fotografin, als ich mein erstes Foto für sie machte. Aber die mochten das Bild und gaben mir einen neuen Auftrag. Das funktionierte seltsamerweise. Die Leute identifizierten sich mit dieser Frau, weil wir so waren wie sie. Wir waren ihnen sehr nahe. Das war eine Frau, über die ich etwas erzählen konnte.
fM: Es ist viel über die Zerbrechlichkeit des von Ihnen abgebildeten Frauentyps geschrieben worden ...
Moon: ... über die Romantik, das Korn in den Bildern, hmm.
fM: Sie sagten mal, die Introspektion sei für Sie Schwarzweiß. Ist sie auch unscharf? Changieren Erinnerungen zwischen Schärfe und Unschärfe?
Moon: Es ist bei mir keine Fokusunschärfe. Manchmal sind die Bilder nur mit langer Belichtungszeit aufgenommen. Wenn es windig war, hatten Teile des Bildes Bewegungsunschärfen. Anfangs war das am schlimmsten, weil die Filme viel Korn hatten. Die Unschärfe hatte damit zu tun, aber ich liebte das.
fM: So hatte das nichts mit Ihrer Wahrnehmung der Natur der Introspektion zu tun?
Moon: Vielleicht. Auf jeden Fall habe ich das Flüchtige, das Vergängliche an der Fotografie immer gemocht. Ich suche nicht danach, aber wenn es passiert, werde ich es nicht aufhalten.
fM: Irgendwann beschlossen Sie, dass Sie nach Dingen suchen möchten, die Bestand haben. Was steckt dahinter?
Moon: Keine Ahnung, was die Veränderung bringt. Es geschieht einfach. Das ist für mich, als wenn ich gehe. Schritt für Schritt und man merkt, dass man einfach weiter kommen möchte. Für mich ist es schwierig, wenn ich den eigenen Fußstapfen folge. Das langweilt mich schnell und ich mag es plötzlich nicht mehr. Alles geht weiter.
fM: Mit dem Fotografen Frank Horvat mutmaßten Sie mal, sie sängen stets den gleichen Song im Leben.
Moon: Sicher, aber mit anderen Noten!
fM: Es scheint, als ob Sie Variationen ausprobierten und dann nach der nächsten Strophe suchten.
Moon: Nur so wollen Sie wirklich weitergehen. Sie drehen sich sonst immer im Kreis, bis Sie unbeweglich werden. Deshalb gehe ich stets dorthin, wo ich eine Öffnung sehe.
fM: Ist es das, was die Kreativität definiert: Sie drehen sich im Kreis und finden am Ende neue Türen?
Moon: Ich denke schon, sonst haben Sie das Gefühl festzustecken. Diese Phasen gibt es, wo man keinen Ausweg findet. Besonders von der Modefotografie kenne ich das.
fM: Der Regisseur Brian de Palma sagt: Wenn wir etwas fotografieren oder einen Film machen, begreifen wir nicht, warum wir das tun. Wir haben rationale Ideen, wie die Dinge zusammenhängen, aber es gibt auch viele unbewusste Impulse und psychologische Momente. Wir könnten den Rest unseres Lebens darüber grübeln, warum wir es so gemacht haben.
Moon: Genau! Wissen Sie, die Fotografie ist eine Frage, auf die Sie manchmal eine Antwort bekommen und manchmal eben nicht. Selbst wenn Sie die Antwort bekommen, ist das nie die komplette Antwort. Es ist etwas Mysteriöses in der Fotografie, das ich wirklich mag.
fM: Ziehen Sie Energie eher daraus, dass Sie versuchen, in sich ruhen?
Moon: Uns machen ganz unterschiedliche Dinge aus. Je mehr Du siehst, desto mehr bist Du inspiriert.
Ich kann 200 Mal an einem Baum vorbei gehen, ohne ihn zu sehen und plötzlich kommt der Zeitpunkt, an dem es ein Echo zwischen der Welt und mir gibt.
Dann mache ich das Foto. Also ist es eine Mischung aus Disponibilität, Gefühl und dem was geschieht. Es bleibt schwer fassbar, wie einen Dinge beeindrucken. Da ist ein Eindruck und es wird ein Print daraus.
fM: Hat die Digitalfotografie ihre Art zu arbeiten beeinflusst?
Moon: Wenn ich Filme mache, mische ich Fotos und Filme digital beim Cutten. So habe ich entdeckt, dass ich Fotos und Film verlinken kann, ohne dass es zwei separate Einheiten bleiben. Ich mag die Idee, dass ich etwas mit Digitaltechnik verbessern kann. Aber ich darf es nicht zu sehr verbessern, weil ich sonst wieder etwas verliere. Das Digitale ist wie ein Kaleidoskop. Jedes Mal, wenn Du durchblickst und es drehst, siehst Du etwas anderes. Mir gefallen die letzten Sachen immer am besten. Wenn es fertig ist, mag ich es, weil es die Ungewissheit des Augenblicks hat.
fM: Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass sich die Gedanken immer weiter in die Vergangenheit bewegen, je älter man wird. Da tauchen plötzlich Erinnerungen an die Kindheit auf ...
Moon: Leider bei mir nicht. Ich habe keine bewusste Erinnerung. Vielleicht ist das auch mein Glück. Bei mir ist das ein wenig widersprüchlich: Eine Sache löscht die andere aus. Das war immer so. Es bleibt immer der letzte Eindruck am stärksten haften.
fM: Nehmen wir doch nur mal Ihr Zirkus-Sujet!
Moon: Stimmt. Das ist auch etwas, das ich ganz besonders liebe: Die Performance für einen Tag. Die Schönheit eines Tages, die Gefahr, in die sich die Artisten begeben, die Wanderaufführung.
fM: Die Kindheit wird in Ihren Arbeiten also immer wieder thematisiert.
Moon: Natürlich. Meine Kindheit steckt in der Arbeit, die Kindheit steckt in jedem Menschen. Wenn Du glücklich oder traurig bist, kommt Deine Kindheit zurück. Gefühle kommen aus der Kindheit. Also ist da ein großer Einfluss, aber die Erinnerung ...
fM: In der Modefotografie scheinen Sie eine Spannung aufzubauen, zu warten, dass etwas passiert. Einen Druck, der etwas mit dem Model geschehen lässt. Brauchen Sie diesen Druck?
Moon: Es ist nicht so, dass ich ihn brauche. Er ist einfach da. Die Zeit ist begrenzt, und das ist schmerzhaft. Du musst in kürzester Zeit erfolgreich sein und weißt nicht, ob es gelingt. Du versagst 100 Mal für einen Erfolg.
fM: Was halten Sie denn von der heutigen Modefotografie?
Moon: Die Zeitschriften werden diktiert vom Marketing, denn Werbung finanziert sie. Das war nicht immer so. Wenn Sie sich alte Harper´s Bazaar-Hefte ansehen, werden Sie merken, dass es andere Prioritäten gab. Die Leute konnten eine eigene Identität haben. Heute ist es viel schwerer für Fotografen, eine eigene Identität zu entwickeln, weil es einen streng codierten Look, Trend und Glamour gibt. Heute gilt doch nur noch: je mehr sexy, desto glamouröser.
Dieses Interview ist in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 4/08 erschienen.
Manfred Zollner
Unser Chefredakteur Manfred Zollner hat bereits während seines Studiums der Kommunikationswissenschaft sein Taschengeld als Konzertfotograf verdient. Der langjährige stellvertretende Chefredakteur des Heftes leitet seit April 2019 die Redaktion. Darüber hinaus betreut er das einmal im Jahr erscheinende XXL-Heft fotoMAGAZIN EDITION mit herausragenden Fine Art-Portfolios.
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