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Nadav Kander im Interview mit fotoMAGAZIN
Fotokünstler Nadav Kander | FOTO: © MANFRED ZOLLNER

Nadav Kander

"Ich frustriere Sie mit meiner Arbeit"
20.01.2020

Ein Gespräch mit dem Fotokünstler und Star-Portraitist Nadav Kander über Butter an der Decke und schwere Bilder.

 

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Barack Obama fotografiert von Nadav Kander

Kanders erstes Portrait von Barack Obama.

© Aus "The Meeting" von Nadav Kander veröffentlicht von Steidl

Nadav Kanders fotografisches Schaffen ist vielfältig und reicht von konzeptioneller Landschaftsfotografie bis hin zu Celebrity-Portraits von Persönlichkeiten wie Barack Obama oder Brad Pitt. Nun ist ein neuer Bildband seiner Portraits im Steidl-Verlag erschienen und eine Auswahl seiner Werke in Berlin zu besichtigen. fotoMAGAZIN sprach anlässlich der Verleihung des „Outstanding Contribution to Photography“-Awards 2019 beim Sony World Photography Event in London mit dem Künstler.

fotoMAGAZIN: Ihre Mutter erzählte kürzlich einem Filmteam eine Episode aus Ihrer Kindheit. Sie hätte  sie eines Tages ertappt als Sie Butter an die Decke des Wohnzimmers geworfen hatten – um zu sehen, wie lange diese dort kleben würde. Wie viel von dieser kindlichen Neugier steckt heute noch in Ihnen?
Nadav Kander: Wenn es darum geht, mich als jemand darzustellen, der mit Fragen an die Welt herangeht, dann beschreibt mich diese Episode nicht. Das würde eine dokumentarische Herangehensweise andeuten. Ich gehe jedoch nicht raus und zeige der Welt, was das gerade vor meiner Kamera passiert.

fotoMAGAZIN: Ich hätte diese Szene eher so interpretiert, dass Sie herausfinden möchten, wie Sie reagieren.
Nadav Kander: Das trifft definitiv zu. Ich bin mir immer sehr bewusst, wie ich mich verändere und in die menschlichen Tiefen einsteige. Ich bin aber nicht sicher, ob ich das bei dieser Episode mit der Butter wiedererkenne. Obwohl ich mich sehr gut an diesen Tag erinnere. Ich versuchte damals nicht, die Butter an die Decke zu kleben, sondern wollte herausfinden, wie nah ich sie in Richtung Zimmerdecke werfen konnte.

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Boy George fotografiert von Nadav Kander

Eine weitere bekannte Persönlichkeit, die Kander bereits portraitiert hat, ist Boy George.

© Aus "The Meeting" von Nadav Kander veröffentlicht von Steidl

fotoMAGAZIN: Für mich war das eine schöne Metapher dafür, wie sie Bilder in die Welt werfen und abwarten, wie diese darauf reagiert.
Nadav Kander: So arbeite ich tatsächlich. Ich denke nie darüber nach, was ich als nächstes machen werde. Deshalb fällt es mir immer schwer, ein neues Projekt anzufangen. Ich denke lange, ich hätte keine Idee, was ich machen soll. Deshalb bin ich dann überglücklich, wenn ich diese Phase hinter mir lasse und doch etwas funktioniert. Das ist immer der Beginn von etwas, das auf fruchtbaren Boden fällt.

fotoMAGAZIN: Geschehen diese Neuanfänge aus einer fast schon meditativen Stimmung, bei der Sie einfach abwarten, was passiert?
Nadav Kander: Für manche mag das Wort Meditation wohl etwas seltsam klingen. Sie meinen, man müsse dabei stumm im Schneidersitz verweilen. Das liegt mir zwar auch ein wenig, doch das kennzeichnet mich nicht. Ich denke und entscheide ganz gewiss aus dem Bauch heraus. Fotos entstehen bei mir nicht intellektuell gesteuert, sondern aus einer Art von physischer Meditation. Ich muss die Dinge fühlen. Das gilt für all meine Arbeiten.

Fotos entstehen bei mir aus einer Art physischer Meditation. Ich muss die Dinge fühlen. Das gilt für alle meine Arbeiten.

fotoMAGAZIN: Die Ruhe und Stille, die Sie in Ihre Bilder einbringen, könnte man als Einladung interpretieren, über gewisse Dinge zu meditieren. Stimmen Sie mit dieser Interpretation überein?
Nadav Kander: Ja. Ich habe das Verlangen nach Bildern, die ruhig, schwer und manchmal ernst sind. Sehr hübsch zwar, aber manchmal mit etwas Beunruhigenden. Das möchte ich ihnen mitgeben. Ich reduziere meine Bilder wie die Konstruktivisten oder Mark Rothko und Franz Kline auf einfache, starke Kompositionen, die wegen ihrer Farben und Formen packen sollen. Sie sind energiegeladen und figurativ. Die Fotografie funktioniert auch auf diesem Level prima. Die Leute sprechen nur nie darüber, über ihre Seelenlandschaften, die Informationen preisgeben. Unser Gehirn interpretiert immer alles, doch die physische Interpretation geschieht über die Farben, über das Gewicht der Dinge. Von dort kommt die Emotion ins Spiel.

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Nadav Kander fotografiert sowohl Menschen als auch Landschaften

© Aus "The Meeting" von Nadav Kander veröffentlicht von Steidl

fotoMAGAZIN: Was gibt einem Bild etwas Beunruhigendes?
Nadav Kander: Ich kann das fast nicht in Worte fassen. Es hat etwas mit der Atmosphäre zu tun. Die Atmosphäre eines Bildes lädt das Banale, die ansonsten ganz normalen Dinge auf. Manchmal gibt es da etwas, das dieses Unwohlsein erzeugt. Ich frustriere Sie mit meiner Arbeit, damit Sie länger davor stehen bleiben und sich fragen, was hier vor sich geht. Sie sollen sich fragen, warum sie sich dazu hingezogen fühlen. Und wenn die Betrachter das zulassen, dann werden sie sich weitere Fragen stellen. Nun können sie einen Bezug zum Bild finden.

Ich frustriere Sie mit meiner Arbeit, damit Sie länger davor stehen bleiben und sich fragen, was hier vor sich geht.

fotoMAGAZIN: Stimmt es, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere ziemlich schüchtern waren?
Nadav Kander: Ich bin noch immer ziemlich schüchtern. Ganz bestimmt sogar, wenn ich Portraits mache.

fotoMAGAZIN: Wird diese Schüchternheit manchmal in das Gefühl einer Verunsicherung im Bild übertragen?
Nadav Kander: Das ist gut möglich. Ich analysiere diese Dinge aber nicht so sehr.

fotoMAGAZIN: Wie wichtig ist es Ihnen überhaupt, Bilder und Motive zu analysieren?
Nadav Kander: Ich mag das, weil ich gerne mehr über mich lernen möchte. Und ich mag es zugleich auch nicht, weil dieses größere Verständnis meine Arbeit behindert. Das hat also Vor- und Nachteile.

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Sie können bis zu drei Kameras vergleichen, um eine andere auszuwählen, entfernen Sie eine aus dem Vergleich.
Über den Autor
Manfred Zollner

Unser Chefredakteur Manfred Zollner hat bereits während seines Studiums der Kommunikationswissenschaft sein Taschengeld als Konzertfotograf verdient. Der langjährige stellvertretende Chefredakteur des Heftes leitet seit April 2019 die Redaktion. Darüber hinaus betreut er das einmal im Jahr erscheinende XXL-Heft fotoMAGAZIN EDITION mit herausragenden Fine Art-Portfolios.